Wie die Welt langsam verschwindet

Zwei unterschiedliche künstlerische Positionen stellt der Kasseler Kunstverein vor: Malerei von Rüdiger Barharn und Skulpturen von Peter Frisch.

Kann und soll die Malerei die sichtbare Welt in der Weise spiegeln, damit wir uns in den Bildern zurechtfinden? Rüdiger Barharn scheint diese Frage zu beschäftigen. Er beantwortet sie mit einem „Sowohl als auch“. Seine Ölbilder wollen erst einmal erzählen. Sie sind als Räume gestaltet, in denen es merkwürdige Konfrontationen von Monitoren und Stühlen, Kameras und Scheinwerfern gibt. Hinweise auf Studioräume und die Medienwelt kann man den Bildern entnehmen.
Doch diese Informationen müssen die Betrachter mühsam herausfiltern. Denn über den Erzähler triumphiert der Maler. Der malt nämlich, nachdem die Dinge ihre Form und Farbe gewonnen haben, einfach weiter.

Und so, als wollte er wieder alles in Frage stellen und den Bildern einen neuen Rhythmus aufzwingen, zieht er helle oder dunkle Farblinien über die Komposition, die eine dichte Netzstruktur gewinnen. Die sichtbare Welt verschwindet so allmählich, wird aber nicht ganz ausgelöscht. Denn zwischen den Farbbändern öffnen sich wie bei durchbrochenen Vorhängen kleine Durchblicke auf die Räume: So wird jedes Bild aus dieser Übermalungsserie zu einem Dokument der Spannung, der sich der aus Schleswig-Holstein stammende und in Düsseldorf lebende Künstler mit seiner Malerei ausgesetzt sieht: Die Welt entsteht und wird verborgen. In einigen Bildern, die sowieso collagenhaft angelegt sind, scheint sich die Ordnung im Chaos aufzulösen.

Barharn beschreitet mit dieser Art von Malerei keinen ungewöhnlichen Weg. Das Aneignen von Bildern durch Uber- und Zumalen hat mittlerweile Tradition. Aber an seinen Gemälden überrascht die Intensität und Gegenwärtigkeit der Farben. Sie scheinen ein Eigenleben zu gewinnen, das in den Raum ausstrahlt.

Wo das Werk rätselhaft bleibt, wird die Kunst spannend. Das gilt auch für die Arbeiten des Holzbildhauers Peter Frisch. Allerdings überhebt er sich, wenn er seine äußerst feinen und poetischen Skulpturen zu Installationen erweitert. Der Reiz des einzelnen Objekts geht unter. Außerdem gewinnen die entstandenen Raumbilder keine eigene Sprachkraft. Besonders deutlich wird das in dem Raum, in dem Frisch seine „Schlüsselstäbe“ zu einem Haufen übereinander gelegt hat. Die Fotoserie in dem Fridericianum-Magazin „ein und alle“ führt eindringlich die so schwer fassbare Schönheit der Holzstäbe vor, die an dem einen Ende in merkwürdigen Formen auslaufen, die naturähnlich sind und doch auch künstlich wirken. Mal wuchern Spitzen aus einer Kegelform hervor, dann wieder scheint eine Pfeilspitze
auf einer halbierten Kugel zu sitzen, und schließlich weitet sich ein Stab zu einer Kranzform. Der von den Stäben ausströmende Wachsgeruch verstärkt die Natur-Illusion des Künstlichen.

Etwas besser funktioniert die Inszenierung im Nebenraum, in dem Frisch rohe Holzkugeln, die er zum Teil ausgehöhlt hat, auf dem Boden gruppiert hat. Aber auch hier rangiert vor dem Bild das Einzelobjekt.

HNA 7. 4. 2001

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