Unter dem Titel Übers Lesen zeigt Thomas Bachler im Souterrain der Neuen Galerie 50 Fotostudien von Lesenden.
Thomas Bachler (Jahrgang 1961) ist derzeit der markanteste Künstler-Fotograf, der aus der Schule von Prof. Floris M. Neusüss an der Kunsthochschule hervorgegangen ist. Hatte sich Neusüss schwerpunktmäßig mit dem kameralosen Lichtbild, dem Fotogramm, auseinander gesetzt, fand Bach1er weit gehend sein Thema durch die Beschäftigung mit der objektivlosen Lochkamera.
So hatte er 1998 in dem Souterrain-Ausstellungsraum in der Neuen Galerie zusammen mit dem Maler Mathias Weis eine Serie von Doppel-Porträts gezeigt: Weis hatte im spontanen malerischen Zugriff Bekannte und Freunde porträtiert, und Bachler hatte diese Personen in denselben Proportionen mit der Lochkamera aufgenommen. Die Folge war; dass aus der Nähe die gemalten Bilder wirklicher erschienen als die Fotografien mit ihren vergleichsweise weichen (unscharfen) Konturen.
Jetzt ist Bachler zum zweiten Mal in dem Raum zu Gast. Unter dem Titel Ubers Lesen zeigt er 50 gleich große Fotostudien von Lesenden. Der Fotograf hat den in die Bücher vertieften Menschen über die Schulter geschaut. Die Personen selbst sind nicht zu erkennen, aber ihre Hände und vor allem ihre unterschiedlichen Lesehaltungen. Obwohl die Ausschnitte klein gewählt sind, verraten die Bilder viel von Individualität.
Den Mittelpunkt bildet in jedem Foto das aufgeschlagene Buch. Obwohl die Schrift gut zu sehen ist, sind die Texte nur schwerlich zu lesen. Denn Bach1er hat diese normal aufgenommenen Fotos seitenverkehrt abgezogen und durch diesen Trick die Schriftbilder gespiegelt. Das steigert die Neugier und weckt den Ehrgeiz, das Geheimnis der Bücher und der Texte zu lüften.
Das zu Lesende verwandelt sich in eine Abfolge von Schriftbildern, die ihre Inhalte verschließen. Diese Tendenz signalisiert bereits am Eingang eine Bücherreihe in der Vitrine, die so aufgestellt ist, dass man nicht weiß, um welche Bücher es sich handelt. Es ist eine konsequent angelegte und gut durchfotografierte Serie. Das Konzept geht auch in dem Raum gut auf. Trotzdem ist die Serie eine der schwächeren Arbeiten von Bachler, weil die Aufmerksamkeit des Betrachters ganz auf den Spiegelungs-Trick gelenkt wird, der sich aber bald erschöpft.
HNA 6. März 2002