Träume und Ängste

Ausstellung Elvira Bach

Vor einem gelben Kreuz ragt eine gewaltige dunkle Männergestalt auf, die in den Armen eine kleine blaßhäutige Frau wie zum Opferaltar trägt; rechts kniet erwartungsvoll eine größere Frau mit riesigem Herzen, links fällt eine andere schier ins Bodenlose. Zusammen nehmen die drei Bilder die Kreuzform auf und fügen sich zur Altartafel.

„“Entführt oder gerettet oder…““ hat Elvira Bach dieses 1984 entstandene Triptychon betitelt, das im Zentrum ihrer Ausstellung im Kasseler Kunstverein hängt. Der Titel läßt offen, ob hier eine Abfolge, eine Geschichte, erzählt wird oder unterschiedliche Ängste, Hoffnungen und Träume fixiert werden. Ganz gleich, für welche Möglichkeit sich der Betrachter entscheidet – Elvira Bach hat in diesem Bild die Visionen und Gefühle, die sie immer wieder in ihren Bildern einkreist, auf einen Punkt gebracht.

„Man kann nur ausdrücken, was man erlebt hat“, sagt die Künstlerin, die 1951 im Taunus geboren wurde, in Berlin studierte und seit 1980 zu den Pilotfiguren der neuen Malerei gehört. Sie malt kraftvoll und spontan in Farben, die aufleuchten und sich dann wieder in dunklen Tönen vermischen. So impulsiv sie an eine Arbeit herangeht, so überlegt tut sie es auch – das Bild existiert schon im Kopf, bevor es auf der Leinwand entsteht.

Ihre dominierenden Frauengestalten mit den kantigen Schultern sind oft als Selbstbespiegelungen oder Selbstbildnisse mißdeutet worden. Doch Elvira Bach denkt weiter, sie geht vom Menschen allgemein aus, von seiner Verletzlichkeit oder von seiner Sehnsucht nach einer unverbrauchten Welt. Und da sie Frau ist, erscheint die Leitfigur auch als Frau. Diese Figur, die in den verschiedenen Bildern alle denkbaren Stimmungen und damit Farben durchlebt, ist immer mehr Figurine und Symbol als individuelle Person; auch dann, wenn die Malerin eine neue subjektive Erfahrung verarbeitet und ihre eigene Version des alten Themas Mutter und Kind liefert.

Die Ausstellung im Kasseler Kunstverein spiegelt fünf Jahre künstlerische Arbeit. Sie ist von einer faszinierenden Geschlossenheit, deutet aber auch Weiterentwicklungen an – Elvira Bach ist dabei, die leuchtenden Töne zurückzunehmen und sich stärker auf Schwarz-Weiß-Werte zu konzentrieren.
Auch wenn sie still stehen, scheinen Elvira Bachs Figuren bewegt – als wären sie nur für einen Moment erstarrt. Diese Dynamik ist oftmals mit nur wenigen spontanen Linien herausgearbeitet. Es sind Bilder voller Explosivkraft und Eindringlichkeit – ein weiblicher Weg der neuen Malerei.

HNA 7. 11. 1985

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