Den Künstler hereinholen

Kaiserring für Georg Baselitz

„Ich bin gerührt.“ Georg Baselitz (48), der Maler und Bildhauer, der international zu den bekanntesten deutschen Künstlern der Gegenwart zählt und dessen Gemälde Preise bis zu mehreren hunderttausend Mark erzielen, kann sich den Stimmungen des bürgerlich-festlichen Rituals in der Goslarer Kaiserpfalz nicht entziehen. Wie schon vor ihm Joseph Beuys und andere wird er ergriffen von dem Versuch der traditionsreichen, kleinen Stadt, die Auseinandersetzung mit der aktuellen Kunst zu suchen und über die Verleihung des Kaiserrings einen (von einer Prominenten-Jury ausgewählten) Künstler in die bürgerliche Gesellschaft hereinzuholen.

Der Goslarer Kaiserring ist einer der wenigen Kunstpreise, die nicht mit der Vergabe einer Geldsumme verbunden sind. Und doch bewirkt er vielleicht mehr, als ein Scheck es könnte: Am Vortag der feierlichen Preisübergabe in der Goslarer Kaiserpfalz diskutiert der Kaiserringträger mit Schülern, und Baselitz‘ Äußerung, seine Bilder sollten keine Botschaft enthalten, löste eine recht heftige Aussprache aus. Am Abend dann haben die Bürger der Stadt beim Kaisermahl Gelegenheit, den neuen Preisträger kennenzulernen. Aus den Metropolen angereiste Museumsleute und Ausstellungsmacher erklären sich bei dieser Gelegenheit zur Kunst. Die eigentliche Kaiserringverleihung findet dann in einer offiziellen Sitzung des Rates der Stadt Goslar statt; umrahmt von musikalischen Darbietungen und Festreden. Und endlich wird eine Ausstellung mit Werken des Preisträgers im Mönchehaus-Museum eröffnet – in diesem Fall eine hervorragende Übersicht über das grafische Werk von Baselitz. Über diese bis 7. Dezember laufende Ausstellung wird noch zu berichten sein. Die Erwerbung eines Werkes für das Museum oder die Stadt rundet die Ehrung ab.

Natürlich sind Künstler wie Beuys, Serra und vielleicht jetzt auch Baselitz von der Stadt und ihrer Bevölkerung nicht mit offenen Armen aufgenommen worden. Dennoch werden sie auf Dauer wie Ehrenbürger behandelt. Die in die Feierstunde eingeschobene Gedenkminute für die beiden verstorbenen Kaiserringträger Joseph Beuys und Henry Moore (er war übrigens der allererste Preisträger) ist ein sichtbarer Beweis dafür.

Der Kaiserring ist für Baselitz der erste Kunstpreis. Den Maler, der in Schloß Derneburg, nicht weit von Goslar, sein Atelier hat, schmerzt immer noch die Erfahrung, daß er fünfzehn Jahre brauchte, bevor er richtig wahrgenommen wurde und daß auch nach seinem internationalen Durchbruch er gerade in Deutschland viele Anfeindungen über sich ergehen lassen musste – nicht nur, weil er seit 1969 Bilder malt, auf denen die Motive kopfstehen.

Die Malerei selbst sei für Baselitz das einzig wichtige Motiv, sagte Prof. Klaus Gallwitz, Direktor des Städel in Frankfurt, in seiner Würdigung. Manfred Schneckenburger, Leiter der documenta 8, hatte den Künstler am Abend zuvor den „Hauptmeister der wiedererstarkten Malerei“ genannt, gleichzeitig aber zu erkennen gegeben, da das Feld zwischen Skulptur, Architektur und Design die nächste documenta prägen werde.

Die Reihe der harmonischen Festansprachen durchbrach lediglich Hannovers Kulturdezernent Prof. Bungenstab. Er erinnerte daran, daß Kunst eine Ware sei und daß sich Kunstförderung nicht den Etablierten, sondern den nach oben drängenden Künstlern zu widmen habe. Als er sagte, daß prominente Künstler wie Kaiserringträger jede Kunst verkaufen könnten, auch die weniger gute, rief Baselitz-Freund und Maler-Kollege Markus Lüpertz dazwischen: „Muß man sich das anhören?

HNA 29. 9. 1986

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