Die hellen Schatten

Linolschnitte von Georg Baselitz

Georg Baselitz, eine der Pilotfiguren der neuen deutschen Malerei, überraschte vor zwei Jahren bei der Biennale in Venedig dadurch, daß er keine Bilder, sondern eine rohe, monumental-demonstrative Skulptur zeigte. Der Wechsel zur Plastik soll aber kein einmaliges Gastspiel bleiben – auch zur Kasseler documenta 7 wird man von ihm plastische Arbeiten erwarten können.

Daß der Weg zur Auseinandersetzung mit der räumlichen Figur vorgezeichnet war, dokumentiert jetzt indirekt eine kleine Ausstellung im Göttinger Künstlerhaus. Hier werden 16 großformatige Linolschnitte (bis zu 2,50 mal 1,60 Meter) gezeigt, die zwischen 1977 und 1979 entstanden und vor drei Jahren schon einmal in einem größeren Rahmen in Köln zu sehen waren. Die mit meist schwarzer Ölfarbe gedruckten Linolschnitte wirken wie Negativbilder: An die Stelle des breiten, kräftig gesetzten Pinselstrichs tritt ein Liniengeäst aus zarten Schnitten, und die vitale Farbigkeit wird durch einen grafischen Hell-Dunkel- Kontrast ersetzt, in dem die Schattenzonen zu Lichtlinien werden.

In einigen Arbeiten triumphiert noch der Maler, etwa wenn die Wirkung der figürlichen Drucke durch Übermalungen zurückgenommen wird. In den anderen jedoch setzt sich der Grafiker durch, der sich ganz auf den einzelnen Akt, die Rückenfigur oder den Adler konzentriert. Zwar bleiben diese nur knapp umrissenen Körper in der Fläche und ohne Volumen, doch enthalten Drucke wie der „Akt mit drei Armen“ schon die Vorüberlegungen zu Baselitz‘ späteren plastischen Studien.
Die auch hier streng befolgte Umkehrung aller Motive führt zu sehr wechselnden Ansichten: Mal wird dadurch die figürliche Darstellung eher aufgehoben, dann wieder erscheinen die kopfstehenden Akte von einer heiteren Schwerelosigkeit.

HNA 23.3. 1982

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