Georg Baselitz in Braunschweig – Anselm Kiefer in Essen
Zwei Schlüsselfiguren der neuen deutschen Malerei sind Georg Baselitz (43) und Anseim Kiefer (36). Beide waren vor knapp zwei Jahren bei jener Ausstellung in Aachen vertreten, die mit ihrem Titel Die neuen Wilden begriffsbildend wirkte; Baselitz und Kiefer waren bei der vorährigen Biennale in Venedig im deutschen Pavillon die Repräsentanten der bundesdeutschen Kunstszene; und das Werk beider wird bei der nächsten documenta aller Voraussicht nach eine gewichtige Rolle spielen.
Zwei Ausstellungen führen nun neuere Werkkomplexe der beiden Maler vor. Während der Kunstverein Braunschweig (bis 29. November) die jüngsten Bilder von Georg Baselitz in eine Gesamtübersicht über die Entwicklung des Künstlers einbettet, stellt das Museum Folkwang in Essen (bis 6. Dezember) Gemälde von Anselm Kiefer aus den beiden letzten Jahren vor, wobei die Serie Margarete – Sulamith im Mittelpunkt steht.
Die Bilder von Baselitz haben in den vergangenen zehn Jahren vor allem deshalb Aufsehen erregt, weil der Maler die Motive und Kompositionen konsequent auf den Kopf gestellt hat: Menschen, Tiere, Wälder und Stilleben. Die Bilder sind nicht verkehrt aufgehängt, sondern so gemalt worden. Baselitz will damit demonstrieren, daß es nicht um die dargestellten Dinge gehe, sondern um die Malerei selbst; die Gegenstände und Figuren werden zu bloßen Anhaltspunkten für den Umgang mit der Farbe. Dennoch kann Baselitz nicht verhindern, daß, solange er der Gegenständlichkeit verpflichtet bleibt, die Kopfstände seiner Bildmotive erst zu inhaltlichen Auseinandersetzungen führen.
Die Braunschweiger Ausstellung stellt Baselitz als einen Maler vor, der in immer neuen Anläufen um Rohheit und Ursprünglichkeit kämpft, um die Farbe über die Motive triumphieren zu lassen. Waren seine frühen Bilder mit den riesenhaften Heldenfiguren noch stärker zeichnerisch angelegt (die zudeckende Malerei wirkt eher begleitend), folgten vor gut zehn Jahren Kompositionen von geradezu eleganter Schönheit. Mittlerweile ist Baselitz aber wieder zu groben, holzschnittartigen Motiven (Stilleben, Orangenesser) zurückgekehrt. Die Bilder sind von einer ungeheuren Farbintensität und lassen (gerade weil sie oft seriell gemalt sind) die rein malerischen, Elemente plastisch und drastisch werden.
Anselm Kiefer ist hingegen ein geradezu literarischer Maler. Er holt seine Bildthemen aus dem Nebel der deutschen Vergangenheit, ohne allerdings den Dunst- schleier zu zerreißen: Die Nibelungen, die deutschen Geisteshelden, Fontanes Landschaften, Deutsche und Juden. Kiefer umkreist und beschwört die Themen, auch die tabuisierten; da er sie aber selten eindeutig klärt, ist er wiederholt mißverstanden worden. Die Essener Ausstellung trägt dazu bei, die Vorurteile aus der Welt zu schaffen.
Vor allem die groß angelegte eindrucksvoll tragische Bildserie Margarete – Sulamith, die an einen Text von Paul Celan anknüpft und sich um das Verhältnis der Deutschen zu den Juden dreht, ist unmißverständlich. Die Brandzeichen und Strohbündel mit den lodernden Flammen sprechen eine deutliche Sprache.
Kiefer ist ein äußerst sinnlicher Maler, für den manchmal das (fotografierte) Bild Ausgangspunkt für seine Malerei ist. Die meist zum Düsteren drängenden Farben sind plastisch aufgetragen; und wo ihm die Farben nicht ausreichen, da erweitert er die Palette um Materialien wie Sand und Stroh oder das Feuer. So wachsen mitunter die Bilder zu Reliefs, in denen die Strohbündel etwa ganz handgreiflich als die Goldhaarsträhnen der Margarete anzusehen sind.
Die Malerei ist für Kiefer ein Phönix, der neu aus der Asche steigt. Das Ausbrennen von Bildflächen hat daher auch existentielle Bedeutung. Die in vielen Werken auftauchende Palette wird zum Symbol der neu erstandenen Malerei, die auch die ungelenk geschriebenen Wortfolgen als einen Teil ihrer selbst begreift.
HNA Herbst 1981