Schwebende Formen

Eine repräsentative Ausstellung mit Gemälden und Grafiken von Willi Baumeister ist in der Erfurter Galerie am Fischmarkt zu sehen.

Vor zwei Jahren hatte das Museum Fridericianum aus Anlaß des 100. Geburtstages von Willi Baumeister dessen grafisches Werk dokumentiert. Die jetzt in der Erfurter Galerie am Fischmarkt laufende Baumeister-Ausstellung ist zwar kleiner angelegt, wirkt aber umfassender und vollständiger, weil sie beide Aspekte berücksichtigt, die malerische Entwicklung Baumeisters und sein grafisches Schaffen. Insofern gewinnt die Ausstellung auch über Ostdeutschland hinaus an Bedeutung, wo dieser Klassiker der Moderne noch nie richtig gewürdigt worden war.

Willi Baumeister (1889 – 1955) hat sich uns mit seinem Spätwerk nachdrücklich eingeprägt. Es sind stille, zuversichtliche Bilder, auf denen über einem weißen oder grauen Grund amorphe Formen schweben. Vor allem fasziniert immer wieder, wie es Baumeister gelang, auch die massiven schwarzen Flächen in Bewegung zu versetzen und ihnen die Schwere zu nehmen. Die farbigen Formen gleichen zuletzt Wolken, die von Bild zu Bild ihre Größe und Gestalt ändern, die sich überlagern und verdrängen. An den Rändern fransen die Formen aus und hier und da tauchen zierliche Kringel, Haken und Spiralen auf, die allem eine spielerische Note geben.

Man vergißt leicht, daß diese Bilder lediglich für die letzten Schaffensjahre Baumeisters stehen. Der Meisterschüler Adolf Hölzels (1909) hatte bereits als Student den Aufbruch der Moderne wahrgenommen und ihn dann mitgetragen. Obwohl er bis zuletzt den völligen Bruch zur figürlich-phantastischen Erzählung vermieden hatte, verfolgte er von der Frühzeit an einen konsequent ungegenständlichen Weg. Die frühesten Gemälde (1920), die von Baumeister in Erfurt gezeigt werden, stellen ihn allerdings als einen Maler vor, der sich zuerst dem konstruktiven Prinzip verschrieb. Doch bereits an diesen Bildern ist Baumeisters sinnliches Verhältnis zur Farbe und zum Material abzulesen: In dem Gemälde „Flächenverhältnis“ sind die weißen Rechtecke reliefartig aufgebaut. Wenig später mischt er Sand in die Ölfarbe, um seine plastischen Mauerbilder entstehen zu lassen.

Baumeister ging bald über den konstruktiven Ansatz hinaus und schuf in 30 Jahren – trotz des Berufsverbots, das die Nationalsozialisten gegen ihn
verhängten – eine unglaubliche Vielfalt von Gemälden (mit surreal-abstrakten Formen), in denen die Frage nach dem Verhältnis von Fläche und Raum immer neu gestellt wurde. Der Erfurter Ausstellung gelingt es, dies anschaulich zu belegen.

HNA 12. 10. 1991

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