Immer neuer Malermut

Die Museen feiern deutsche Maler mit großen Ausstellungen – Georg Baselitz in der Nationalgalerie Berlin und Jörg Immendorff im Kunstmuseum Wolfsburg.

Seit Beginn der 80er Jahre steht die deutsche Malerei der Gegenwart international hoch im Kurs. An der Spitze der Bewegung stehen selbstbewußte Künstler, die viel bewirkt und Widerspruch herausgefordert haben: Markus Lüpertz, Georg Baselitz und Jörg Immendorff. Zuweilen treten sie wie Malerfürsten auf; eine Rolle, die Lüpertz und Baselitz auch schon zu der Zeit beherrschten, als sie wenig Widerhall in der Öffentlichkeit fanden.

In den letzten Jahren hatte man von den drei (miteinander befreundeten) Künstlern in Deutschland keine größere Ausstellung gesehen. Dafür wurden sie weltweit gefeiert. Nun wollte es der Zufall, daß ihnen fast gleichzeitig an drei Orten Übersichtsausstellungen eingerichtet wurden: Während in Düsseldorf am Sonntag die Lüpertz-Schau zu Ende geht, wurden am Wochenende in Wolfsburg und Berlin Einzelausstellungen für Immendorff und Baselitz eröffnet.

Groß sind nicht nur die Namen, sondern groß sind auch die Formate der Bilder. Dabei hat Immendorff in der Halle des Wolfsburger Kunstmuseums eine schönere und klarere Gliederung seiner Werkübersicht bekommen, als es für die Arbeiten von Baselitz in Berlin möglich war. Was die beiden verbindet, ist die Thematisierung der Malerei. Der aus Bleckede (Elbe) stammende, in Frankfurt lehrende und in Düsseldorf lebende Jörg Immendorff (Jahrgang 1945) macht dies direkter. Er ist ein erzählender Maler, der seine antikünstlerischen Anfänge, in denen er wie ein Agitprop-Künst1er arbeitete, nicht verleugnet. „Hört auf zu malen“ verkündete Immendorff 1966 auf einem seiner ersten Gemälde, wobei er sich entschieden gegen die selbstverliebte Kunst wandte. Er wollte die Künstler an die Seite der demonstrierenden Arbeiter holen – und malte augenzwinkernd weiter. Der Kampf um den Wert und die Form der Malerei blieb in den 70er Jahren auch dann noch Immendorffs bestimmendes Thema, als er sich in der Reihe der „Café Deutschland“-Bilder zu dem Maler der deutschen Teilung entwickelte. Die Wolfsburger Ausstellung macht bewußt, daß es Immendorff auf geniale Weise gelang, die Probleme und Widersprüche des geteilten Deutschland so zu reflektieren, daß man über die Auseinandersetzung mit politischen auch in die künstlerischen Fragen hineingezogen wurde.

Und weil er alles beherrscht, den karikierenden Strich ebenso wie tiefgestaffelte Massenszenerie oder das Primitive, muß er seinen oft beschworenen „Malermut“ aktivieren, um seine Bilder nicht zuzumalen. In der letzten Zeit, in der sich seine Malerei auf zwei Bildebenen bewegt, erliegt er
gelegentlich dieser Gefahr. Er gleitet zuweilen ins Surreal-Ornamentale ab.

Georg Baselitz, 1938 als Hans Georg Kern in Deutschbaselitz geboren und in Derneburg und Imperia lebend, hat ebenfalls erzählend begonnen – allerdings zweifelnd. Seine wie aus dem Schlamm auftauchenden Helden der 60er Jahre sind zwar provokativ auf ihr Geschlecht fixiert, wirken aber orientierungslos. Auch Baselitz stand gegen das Diktat der Moderne auf. Aber je mehr er sich in die Zeichnung und Malerei versenkte, in die Bildfläche eintauchte, desto mehr näherte er sich der Moderne an.

Die von manchen Betrachtern bis heute nicht akzeptierte Baselitz-Entscheidung, die Motive verkehrt herum zu malen, war weder als Witz noch Her-
ausforderurig gedacht, sondern als das angelegt, als was auch viele andere Künstler ihr Motiv begreifen – als bloßes Gerüst für Malerei. In dem üppigen Katalog ist ein schöner Text zu fmden, in dem Baselitz beschreibt, wie er bei der Arbeit an der auf dem Boden liegenden Leinwand zu sich selbst und zum Bild in der Fläche fmdet.

Während Immendorff noch anekdotischer geworden ist, scheint bei Baselitz die Anekdote (Kopf, Figur) nur andeutungsweise auf. So wie er seine gewaltigen Holzflguren mit Axt und Kettensäge herausarbeitet, so bannt er die Farben, Linien und Schichten grob auf die Leinwand und läßt sie miteinander kämpfen. Georg Baselitz hat in den abstrakter werdenden Bildern an provozierender Kraft verloren. Auch seine jüngsten Porträtbilder sind heller, leichter und versöhnlicher geworden.

Die Ausstellung in der Nationalgalerie führt vor, wie ein Widerstand leistender Außenseiter zum Wortführer wurde und wie er sich endlich in den Chor der Moderne einmischte. Es geht ihm nicht um Themen, sondern um Malerei, und die reflektiert er vielfältigst. Dabei wandelt er sich unaufhörlich. Am Ende ist er ein anderer geworden.

HNA 30. 5. 1996

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