Stille Schönheit

Willi Baumeister würde 100

Einige Zeit schien es so, als wäre die Kunst, die die ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg beherrscht hat – die streng gebaute und die expressiv hingeworfene abstrakte Malerei – nur Teil eines abgeschlossenen Kapitels der Kunstgeschichte. Direkte Wirkungen auf das aktuelle Kunstgeschehen waren nicht mehr zu spüren. Mittlerweile wissen wir, daß diese Phase überwunden ist. Nicht nur die modische Wiederentdeckung der 50er Jahre hat dazu geführt.
Viel entscheidender ist, daß gerade abseits vom Modischen der Blick frei wurde für die stille Schönheit und vor allem die ungeheure Kraft der abstrakten Malerei. Nicht zufällig wird am Wochenende in Kassel eine große Werkschau des Franzosen Pierre Soulages eröffnet. Und die Erinnerung an den 100. Geburtstag bietet nicht allein die Rechtfertigung dafür, daß in diesem Jahr die Nationalgalerie Berlin und die Staatsgalerie Stuttgart den Maler Willi Baumeister mit zwei großen Ausstellungen ehren. Es gilt, den Reichtum von Baumeisters Bildern nu zu entdecken.

Baumeister, der am 22. Januar 1889 in Stuttgart geboren wurde und am 31. 8. 1955 in Stuttgart starb, hat sich selbst nie als abstrakten Maler begriffen. Für ihn waren die reine Linie oder die ungestalte Form immer etwas Greifbares, etwas, das zur Wirklichkeit gehört und das nur sichtbar macht, was vorhanden ist. Er dachte ganz im Sinne von Paul Klee, daß Kunst lediglich anschaulich werden lasse, was in der Welt enthalten sei.
Vor allem das Spätwerk Baumeisters hat sich auf Dauer eingeprägt. Wer einmal eines dieser Gemälde gesehen hat, wird sie nicht vergessen: Auf weißem Grund schwebt ein fülliger schwarzer Körper. An den Rändern leuchten kleine rote, blaue und gelbe Felder auf und hier und da entstehen aus zarten. Krakeln poetische Figuren. In Willi Baumeisters Bildern der letzten Jahre vereinigen sich Elemente, die man von Klee und Miro kennt, zu einer eigenen, unverwechselbaren Sprache. Die Flächen gewinnen Körperlichkeit, die massive Schwärze wird von der Farbigkeit überstrahlt.

Willi Baumeister ist einer der wenigen deutschen Künstler, die zwar von den Nationalsozialisten als entartet gebrandmarkt waren, denen es aber gelang, in der Abgeschiedenheit zu überwintern und dabei konsequent ihre Kunst weiterzuentwickeln. Über das intensive Studium antiker und vorgeschichtlicher Maltechniken konnte er in jenen Jahren die eigene Bildsprache entschieden vorantreiben.

In dieser Zeit der Verbannung – er hatte 1933 sein Lehramt an der Städelschule in Frankfurt verloren – schrieb Baumeister äuch seinen grundlegenden theoretischen Text: „Das Unbekannte in der Kunst‘. In seiner praktisch-malerischen Arbeit hatte er sich immer ganz bewußt dem Unbekannten, dem Zufall, ausgeliefert und war so bis nach Frankreich hinein zu einem Pfadfinder der Moderne geworden.

HNA 20. 1. 1989

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