Als Joseph Beuys seinen Hut absetzte

Der Kunstprofessor vor dem Bundesarbeitsgericht

Der Sitzungswachtmeister für den Plenarsaal des Bundesarbeitsgerichts in Kassel hatte gestern seine große Stunde. Während die streitenden Parteien sich unter Vorsitz des 2. Senats hinter verschlossenen Türen um eine gütliche Beilegung bemühten, ließ der Wachtmeister die Katze aus dem Sack: Er habe dem Professor Beuys klargemacht, daß er beim Betreten des Gerichtssaals seinen Hut abnehmen müsse. Ja, so sei das gewesen. Er habe ihm aber auch gesagt, daß er den Hut mit hineinnehmen dürfe, aber abnehmen müsse er ihn. „Und das hat er auch gemacht. Auch seinen Fliegermantel hat er ausgezogen. Da drüben hängt er.“

Prozeßkundige wollten die Hutabnahme schon in das Eingeständnis einer Niederlage umdeuten. In der Tat wirkte der Düsseldorfer Aktionskünstler, der am Abend zuvor im überfüllten Saal der Kasseler Volkshochschule prophetisch das Bild einer utopischen „sozialen Skulptur“ entwickelt hatte, mehr als nervös. Schließlich geht es in seinem Rechtsstreit mit dem Land Nordrhein-Westfalen um seine fristlose Kündigung (vom Oktober 1972) als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie. Beuys hatte damals mit Studenten durch die Besetzung des Akademie-Sekretariats die Zulassung von weiteren Studienbewerbern erzwingen wollen.

Unter dem Aktenzeichen 2 AZR 534/73 hatten Beuys und sein Anwalt Revision gegen das Urteil des Düsseldorfer Landesarbeitsgerichts beantragt, das die fristlose Kündigung von Beuys Rechtens befunden hatte. Ob Joseph Beuys je wieder an der Akademie lehren wird, steht dahin, denn der 2. Senat des undesarbeitsgerichts vertagte sich, nachdem er Vergleichsverhandlungen eingeleitet hatte.

Aber will Beuys eigentlich wieder an eine staatliche Akademie zurückkehren? Seinen Zuhörern am Abend zuvor hatte er jedenfalls erklärt, das System der beamteten Lehrer sei schlecht. Er empfahl kurzerhand, Schulmeister und Hochschullehrer sollten auf ihr Beamtenverhältnis pfeifen.

Und dieser Mann tritt einen Tag später vor das höchste bundesdeutsche Arbeitsgericht, auf daß die fristlose Kündigung seines Beamtenverhältnisses zurückgenommen werde? Ja, so ist es. Das ist einer der vielen Widersprüche, die sich nur in der Person des Joseph Beuys auflosen. Wenn Sie das nicht intellektuell verstehen, dann appelliere ich an Ihr Empfinden, sagte Beuys in seinem Vortrag.

Der große Auftritt im Bundesarbeitsgericht blieb aus, auch wenn es für die Justizbeamten ein Erlebnis war, daß sich in den sonst publikumsarmen Sitzungssaal Bildreporter und ein großer Kreis jugendlicher Zuhörer drängten, so daß man erstmals seit Jahren Einlaßkarten ausgegeben hatte.

Der Stand der Vergleichsverhandlungen bleibt ein „Geheimnis“ (Beuys). Das läßt nach den ersten zweieinhalbstündigen Gesprächen auf Erfolg schließen. Und es scheint so, als läge Beuys mehr an einer gütlichen Einigung denn an einem Sieg über das Land: Er hofft immer noch auf eine Landes-Unterstützung für seine geplante Freie Kunsthochschule. Da will er kein Utopist bleiben.

HNA 6. 12. 1974

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