Es geht nicht allein um Joseph Beuys

Das Problem Beuys wird man nicht so schnell los. Und selbst wenn Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsminister Rau nach der Entlassung des Kunstprofessors Joseph Beuys mit dem ausgesprochenen Lehrverbot den Rausschmiß des angesehenen Künstlers erreicht, wird er das Problem längst nicht los sein. Nicht etwa nur, weil Rau zunehmend in die Schußlinie der Künstler, Professoren und auch Politiker gerät, sondern weil die Aktion von Beuys – die Besetzung der Düsseldorfer Kunstakademie – auf die unhaltbare Situation an der Akademie aufmerksam gemacht hat, die (ob mit oder ohne Beuys) unhaltbar bleibt.

Angesichts der Entlassung des Kunstprofessors Erinnerungen an braune Zeiten wachzurufen, wie es gleich einige ausländische Kritiker tun, scheint übertrieben zu sein. Andererseits geht es aber auch nicht so, wie es sich Minister Rau wünscht, der Beuys in den Künstler und den Professor aufteilen möchte und dabei den einen würdigen, den anderen aber disziplinieren will. Beuys ist nicht teilbar. Wer ihn als Künstler will, der muß ihn auch als politischen Menschen – und habe er noch so utopische Ideen – nehmen.

Der Witz an der Geschichte ist, daß auch Rau das sehr genau weiß. Gerade deshalb ist die Vermutung berechtigt, die fristlose Entlassung sei keine Quittung für die widerrechtliche Besetzung, vielmehr sei die Besetzungsaktion ein Vorwand für das Ministerium, den Mann loszuwerden, der seit vier Jahren wie ein Stachel im Fleisch sitzt.

Denn: Beuys, seit 1961 Professor an der Akademie, kämpft seit dem Unruhejahr 1968 für eine Reform, Erweiterung und Öffnung der Akademie. Vor allem kämpft er gegen das veraltete System der Studentenauswahl, das in der Regel darin besteht, daß der Professor die Mappe der. Arbeiten des Studienbewerbers in Minutenschnelle durchblättert. Joseph Beuys dagegen, und er wird von zahlreichen Kollegen darin unterstützt, tritt für ein Probesemester bzw. Probejahr der Studenten ein. Für seine Klasse, die zuletzt 262 Studenten umfaßte, hat er bereits eine entsprechende Regelung eingeführt.

Von den 262 Studenten hatte Beuys im vorigen Jahr schon 142 auf eigene Faust aufgenommen. Durch die Besetzung wollte er die Aufnahme weiterer 125 erzwingen. Das Ministerium sagt zu Recht, daß sich mit einer solchen Studentenzahl nicht arbeiten lasse. Auch Beuys weiß das sehr genau und agiert trotzdem, um über diesen Massenbetrieb zu erreichen, damit endlich die Akademie erweitert und durch eine zweite entlastet wird. Immerhin hatte er bereits im vorigen Jahr bewirkt, daß eine Akademie-Niederlassung mit 100 Studenten in Münster eingerichtet wurde.

Der Kampf geht weiter – auch vor dem Arbeitsgericht. Beide Seiten haben hochgespielt und meinen es sehr ernst, selbst wenn Beuys das Kräftemessen auch Spaß macht wie der Boxkampf am letzten documenta Tag.

HNA 24. 10. 1972

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