Er hat viel bewegt in der Kunstgeschichte. Die achtungsvolle Verbeugung der Vertreterin des Landes Nordrhein-Westfalen, Rechtsanwältin Schwarz, vor der anderen Partei, sprich dem Künstler und Lehrer Joseph Beuys, war nicht die einzige Artigkeit, die in der gestrigen Verhandlung des Bundesarbeitsgerichts in Kassel dem Aktions-Künstler gezollt wurde. Auch das hohe Gericht, das sich unter Vorsitz von Professorin Hilger intensiv um eine letzte Vergleichsmöglichkeit in dem bald sechsjährigen Rechtsstreit vergeblich bemühte, ließ verschiedentlich durchblicken, wie sehr es um die internationale Prominenz des Klägers Joseph Beuys wisse. Und dann natürlich der Beuys-Anwalt Flemm, der bei der Würdigung seines Mandanten immerhin die Frage stellte, ob nicht etwa jene Besetzung des Düsseldorfer Kunstakademie-Sekretariats, die am 10. Oktober 1972 die fristlose Kündigung von Beuys auslöste, auch als ein Werk der Kunst begriffen werden könne, da doch Beuys Politik und Pädagogik als Kunst betreibe.
Kurz, man war sich einig, daß es sich in dem vorliegenden Rechtsstreit, der auf dem Weg durch Instanzen jetzt zum zweiten mal vor das Bundesarbeitsgericht kam, nicht um den Normalfall handele.
In einem Punkt schien sich das Gericht, zumindest aber eines seiner Mitglieder einen Moment lang über die Tragweite seiner Beschlüsse zu täuschen. Es ging um die Bedingungen eines Vergleichs, den der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts unbedingt einer höchstrichterlichen Entscheidung vorziehen wollte. Vergleichsbereit waren auch die Parteien in Punkten wie Umwandlung der fristlosen in eine
ordentliche Kündigung, Entschädigung an Beuys in Höhe von 50000 DM und Teilung der Kosten. Doch in einem für Joseph Beuys unverzichtbaren Punkt wollten des Land Nordrhein-Westfalen und sein Wissenschaftsminister Rau (der dazu eigens einen Kabinettsbeschluß eingeholt hatte) nicht mitziehen, man wollte dem gekündigten Joseph Beuys nicht ein Nutzungsrecht für das Akademie-Atelier einräumen. Beuys würde in einem solchen Nutzungrecht einen Akt der Wiedergutmachung für angetanes Unrecht sehen. Als nun von der Richterbank die vorsichtige Frage kam, ob die Landesregierung nicht ihre harte Haltung revidieren würde, wenn die Atelierbenutzung durch Beuys in den Vergleichsvorschlag des höchsten Arbeitsgerichts einbezogen würde, sagte Rechtsanwältin Schwarz ein schlichtes Nein.
Selbst wenn die Vertreterin Nordrhein-Westfalens den Streit um die Akademie-Besetzung, durch die Beuys und 54 abgewiesene Studienbewerber die zusätzliche Aufnahme von 127 Studenten erzwingen wollten, zu einem disziplinarrechtlichen Problem herabstufen wollte, wurde hier über ein Stück Hochschulpolitik verhandelt. Schließlich fiel die spektakuläre Aktion des Jahres 1972 in jene Phase, in der in fast allen Bereichen der Hochschulen die Schotten in Form von Numerus-clausus-Erlassen dicht gemacht wurden.
Ebenso ging es aber auch um Joseph Beuys, um den Künstler, Lehrer und Aktionisten, um den Mann, der jedem Menschen schöpferische Fähigkeiten zutraut, also auch niemandem den Zugang zur Kunst verwehren will. Rechtsanwalt Flemm hatte ein recht treffendes Porträt dieses Mannes in seinem Plädoyer gezeichnet. Das Urteil wird heute verkündet.
HNA 7. 4. 1978