NRW unterlag im Streit mit Beuys

Der Künstler Joseph hat seinen fast sechsjährigen Rechtsstreit mit dem Land Nordrhein-Westfalen (NRW) um seine fristlose Kündigung als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie gewonnen. In dem gestern verkündeten Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Kassel (Az.: 5 AZR 14476) wird der Klage gegen die fristlose Kündigung stattgegeben. Das Land hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Beuys hatte am 10. Oktober 1972 mit 54 der 127 abgewiesenen Studienbewerber das Sekretariat der Düsseldorfer Kunstakademie besetzt, um für sie die Aushändigung der Studienbücher zu erzwingen. Als er nach mehrfacher Aufforderung das Sekretariat nicht räumte; sprach das NRW-Wissenschaftsministerium die fristlose Kündigung aus. Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts geht davon aus, daß Beuys‘ Weigerung, das Sekretariat zu räumen, eine schwerwiegende Verletzung der dienstvertraglichen Pflichten darstelle. Er ist aber auch der Meinung, daß „in Anbetracht der besonderen Umstände des Falles“ das Land den sowieso bis zum 30. September 1973 befristeten Anstellungsvertrag hätte einhalten können.

Das Bundesarbeitsgericht sieht die seinerzeit ausgesprochene fristlose Kündigung „im Zusammenhang mit der Zulassungsbeschränkung“ und weist darauf hin, daß sich Beuys bei seinem Bemühen, die von der Akademie abgewiesenen Bewerber zusätzlich in seiner Klasse aufzunehmen, insbesondere auf die verfassungsmäßig garantierten Rechte der studierwilligen Jugend berufen habe. Außerdem habe Beuys aus einem in seinem Inhalt umstrittenen Konferenzbeschluß der Akademie hergeleitet, daß die einzelnen Lehrer berechtigt waren, selbst über die Aufnahme von Bewerbern in ihre Klassen zu entscheiden.

Auch nach dem höchstrichterlichen Urteil wird der Rechtsstreit Beuys gegen NRW weitergehen. Wie gestern Beuys-Anwalt Flemm im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte, werde nun vor dem Arbeitsgericht in Düsseldorf ein Verfahren wieder aufleben, in dem angestrebt wird, auch eine ordentliche Kündigung von Beuys als sozialwidrig zu bezeichnen. Die seit 1961 mehrfach verlängerten Zeitverträge als angestellter Akademie-Lehrer müßten als Kettenverträge angesehen werden, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Dauerbeschäftigung zur Folge habe.

KOMMENTAR

Als sich der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts geradezu flehend darum bemühte, den Streit Beuys-NRW durch einen Vergleich gütlich zu beenden und die Vertreterin des Landes kein weiteres Entgegenkommen signalisieren konnte, meinte ein Mitglied des Gerichts zu ihr: „Sie setzen voraus, daß Sie gewinnen.“

In der Tat waren wohl das Land Nordrhein-Westfalen und sein hier verantwortlicher Wissenschaftsminister Rau, gestützt auf zwei Landesarbeitsgerichtsurteile, ihrer Sache zu sicher gewesen: Ein Professor hatte sich nicht an Konferenzbeschlüsse gehalten und hatte widerrechtlich das Sekretariat der Düsseldorfer Kunstakademie besetzt. Da konnte doch nur die fristlose Kündigung rechtens sein, mochte man in Düsseldorf glauben.

Doch das Bundesarbeitsgericht handelte klüger als der Minister. Natürlich konnten die Kasseler Richter die Sekretariats-Besetzung nicht gutheißen. In einer Zeit aber, in der man sich allgemein bemüht, die Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen abzubauen, honorierte das Gericht, Beuys’ Kampf um die
Zulassungsbewerber.

Auch haben die Kasseler Richter mehr Gespür für die Besonderheiten dieses Falles entwickelt. Schließlich darf ja die ungewöhnliche Ausformung der Künstlerpersönlichkeit, um die es geht, nicht übersehen werden. Gerade die Ecken und Kanten, die Fähigkeit und Bereitschaft zur spontanen Aktion, die Ideenfülle und Unfähigkeit zur stillen Einordnung hatten doch wohl zu den Komponenten gehört, die 1961 zur Akademie-Berufung von Beuys geführt hatten.

Wer sich einen Aktionskünstler ins Haus halt, muß mit Aktionen rechnen. Und wer am Ruhm des Künstlers partizipiert, muß auch seine Unruhe in Kauf nehmen. Es hätte Rau nicht schlecht angestanden, dies rechtzeitig einzusehen. So wäre er nicht zum doppelten Verlierer geworden.

HNA 8. 4. 1978

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