Der vervielfältigte Beuys

Sammlung Ulbricht im Kunstmuseum

Wie kaum ein anderer Künstler hat Joseph Beuys die Erkenntnis, daß jedes Material kunstfähig sei, konsequent in die Tat umgesetzt. Und da die Bilder, Plastiken und Aktionen für ihn immer auch Träger von Gedanken sind, ist er ein überzeugter Verfechter der vervielfältigten Kunst, wobei er keinen Unterschied macht zwischen dem von ihm selbst in kleiner Auflage gefertigten Objekt und der in unzähligen Exemplaren gedruckten Postkarte. Den Unterschied spürt der Kunstfreund, der beim Kauf des seltenen Objekts kräftig zahlen muß; denn Beuys-Werke sind begehrt. Gerade darum nimmt der Künstler die in Tausender-Auflage gedruckten Postkarten so ernst, weil sie für eine Mark zu kaufen und somit für jedermann erreichbar sind. Die Vision, daß auf diese Weise in jedes Haus ein Beuys-Werk gelangen könnte, erfüllt ihn mit heiterer Zuversicht.

Joseph Beuys setzt sich daher auch über die Grenzen hinweg, innerhalb derer sich sonst vervielfältigte Kunst (meist Grafik) bewegt. Wo andere das Reinheitsgebot der Originalgrafik gegenüber der Reproduktion streng beachten, nutzt Beuys auch den Offsetdruck als Vervielfältiger seiner Kunst. Manches ist vom Entwurf her gar nicht als multipliziertes Objekt angelegt gewesen, erst später hat Beuys es dann als Vorlage für ein Multiple verwendet.

Der Düsseldorfer Kunstsammler Günter Ulbricht verfügt als einziger über alle Multiples, die von Beuys herausgegeben wurden. Mittlerweile sind es rund 250 Objekte – vom Filzanzug über die Eisenplastik bis zum Holzschnitt und zur Postkarte. Große Teile der Sammlung Ulbricht sind schon in anderen Städten gezeigt worden; nun werden die Multiples in ihrer ganzen Fülle erstmals in einer Ausstellung des Kunstmuseums im Düsseldorfer Kunstpalast (Ehrenhof) ausgebreitet.
Manches vervielfältigt sich auch schon mal wie von selbst zum Kunstobjekt: Das zu einer Beuys-Multiple-Schau 1975 vom Kasseler Kunstverein herausgegebene (signierte) Plakat ist nun seinerseits zum anerkannten Multiple geworden. Wo die Nachfrage groß ist, da hält Beuys das Angebot nicht klein – immer vorausgesetzt, Material und Technik erlauben es. Für Beüys ist die Unterscheidung zwischen signiertem und unsigniertem Multiple nebensächlich. Wenn andere meinen, sein Namenszug adle eines seiner Massenobjekte, dann liefert er eben gern die Signatur nach.

Alle Multiples sind Botschafter, ob es sich nun um den unscheinbaren Holzkasten „Intuition“ handelt oder das auffällige Objekt „Rose für direkte Demokratie“ (ein Meßglas mit einer langstieligen roten Rose), das an Beuys‘ documenta-Aktion von 1972 erinnert. Beredte Botschafter sind sie, aber auch schweigende Werkstücke, die vom Betrachter selbst zum Reden gebracht werden müssen.

Die Ausstellung ist in ihrer Vielfältigkeit ein Spiegel des Beuys‘schen Werks, wobei Kunstwerk, Aktions-Relikt und Dokumentations-Objekt oftmals untrennbar verbunden sind. Durch die gezeigten Arbeiten erfährt man manches über die Aktionen und gedanklichen Schritte in dem Gesamtwerk; durch die Werkbiographie aber lernt man viel über den Charakter und den Stellenwert einzelner Arbeiten.

Joseph Beuys will den Blick auf das Wesen der Dinge lenken, um so auf vergessene Sinnzusammenhänge aufmerksam zu machen. Das Gespür des Betrachters für die Eigenschaften von Materie und Form soll geschärft, seine Fragebereitschaft gefördert werden, damit die schöpferischen Kräfte neu entdeckt werden können. Mal will er das über einen in drängender Bewegung gezeichneten Elch erreichen, dann wieder nutzt er Diagramme seines politischen Denkens für diese Zwecke. Alles kann zur Chiffre, zum Bedeutungsträger werden – auch der Filz als reinerWärme isolierender Stoff, mit dem Beuys auf die Speicherung geistiger, evolutionärer Energien anspielt.

Die Ausstellung ist zum einen das Dokument eines künstlerischen Werks, das sich mühelos aller technischen und kommunikativen Mittel unserer Zeit bedient (Foto, Tonband, Video) und das sich aller denkbaren Äußerungsformen bedient – von der traditionellen Zeichnung und Plastik über die Aktion bis zur politischen Diskussion. Zum anderen ist sie Teil eines Werkes, das in seinen Fragestellungen ebenso radikal ist wie in seinen formalen Lösungen.

Gute Hilfen zum Einstieg in diese Ausstellung bieten der kleine, vom Kunstmuseum herausgegebene Führer (5 Mark) und vor allem das als Katalog angelegte Buch „Beuys – Multiplizierte Kunst“ (Verlag Schellmann und Klüser, 25 DM), das in der Ausstellung angeboten wird, aber nicht alle gezeigten Werke beinhaltet. Vor allem über das Interview in dem Katalog erhält man Zugang zur Gedankenwelt von Beuys und wird das Verständnis dafür geweckt, das Werk mit seinen bewußten Brüchen und Widersprüchen als Einheit zu sehen.

RP 18. 8. 1980

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