In den Harz und übers Meer

Joseph Beuys vor seiner großen Ausstellung in New York

Beuys läßt sich zu nichts überreden. Wer den Mann mit Hut für sich und sein Projekt gewinnen will, der muß selbst so überzeugt, begeistert und voll persönlicher Einsatzkraft sein, daß Beuys nicht mehr „nein“ sagen kann, daß er sich „komisch“ vorkäme, wollte er ablehnen. Wo in einem Projekt die „Intensität des Wollens“ und damit auch der Mensch sichtbar werden, da zieht der 58jährige Düsseldorfer Bildhauer und Aktionskünstler mit, da nimmt er auch Dinge auf sich, die eigentlich außerhalb der Bezirke seines Denkens und Verhaltens liegen.

So verhielt es sich bei der vor einem Jahr ausgesprochenen Berufung auf einen Lehrstuhl in Wien, die er erst in letzter Minute in eine (bisher nicht fest umrissene) Gastprofessur umbog; so trug es sich auch zu, als er am vergangenen Wochenende zur Harzreise aufbrach, um in Goslar zum Kaiserring-Träger gekürt zu werden; und ausschließlich intensiver persönlicher Einsatz war es auch, der ihn dazu bewegen konnte, in den kommenden sechs Wochen 365 Zeichnungen und 175 objekthafte Arbeiten über den Atlantik in das New Yorker Guggenheim Museum zu schicken.

Diese beispielhafte Aufzählung illustriert zugleich, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit geworden ist, an Beuys, seinem Werk und seiner wachsenden Wertschätzung teilzuhaben. War der Happening und Fluxus-Künstler der 50er und 60er Jahre eher wegen seiner Aktionen und als Skandale begriffenen Anstöße bekannt, so beginnt er nun, populär zu werden. Das heißt zwar nicht zugleich, daß er nun allgemein besser verstanden werde. Doch Beuys registriert ein „größeres Interesse an den Zusammenhängen“, um die er sich bemüht, an seinem erweiterten Kunstbegriff.

Er gehört daher selbst zu den Kritikern jener Ausstellung, die anläßlich seiner Ehrung in Goslar eröffnet wurde und die mit ihren rund 80 frühen Zeichnungen viel zu still und zufällig ausgefallen sei. „Die Leute“, so meint er „sind umfassend interessiert“. Auch in Goslar wolle man Dokumentationen von Aktionen oder skulpturale Arbeiten sehen.

Umfassend wird das Publikum ab 1. November Joseph Beuys im New Yorker Guggenheim Museum kennenlernen. Es wird nicht nur die größte Einzelausstellung eines lebenden deutschen Künstlers dort sein, sondern höchstwahrscheinlich auch die erste und letzte Beuys-Retrospektive: „Für mich ist das,“ so erläuterte er in einem RP-Gespräch, „keine reine Freude, nämlich mich mit den ganzen Problemen herumzuschlagen, die sich alle auf Arbeiten beziehen, die längst gemacht sind. Da kommt man sich dann wie sein eigener Museumsdirektor vor oder wie so eine Art Wanderzirkus. Das möchte ich dann eigentlich nicht mehr machen – nie wieder.“

Aber jetzt muß sich Beuys erst einmal mit dieser seiner Vergangenheit befassen und die Ausstellung in New York vorbereiten helfen. Außer den 365 Zeichnungen aus dem Zyklus „The secret block for a secret person in Ireland“ (Der geheime Block für eine geheime Person in Irland) werden auch zahlreiche Großprojekte wie die „Straßenbahnhaltestelle“ (Biennale Venedig 1976) oder „Die Honigpumpe am Arbeitsplatz“ documenta 1977) gezeigt – jedoch lediglich als Materialien. Da das Guggenheim-Museum nur als Bilder-Museum angelegt ist, mußte für die großformatigen Objekte und Environments von Beuys durch eine Fensterfront ein eigener technischer Zugang geschaffen werden. Ohne diesen Umbau würde man etwa „Das Rudel“ (ein VW-Transporter mit Schlitten), das derzeit als Leihgabe in der Neuen Galerie in Kassel steht, nicht in das Museum hineinbekommen.

Wenn nun schon die einzige Beuys-Retrospektive an deutschen Kunsthallen und Museen vorbeigeht, ist dann mit anderen Ausstellungsprojekten hierzulande zu rechnen? Sicher ist, daß der allumfassend interessierte Künstler Beuys mit Blickrichtung auf die von ihm mitbegründete Freie Internationale Universität (FIU) und der daraus erwachsenden politischen Arbeit konkretere Pläne hat als im Hinblick auf seine rein künstlerische Arbeit. Wer Beuys kennt, weiß, daß es für ihn diese Unterscheidung allerdings längst nicht mehr gibt, denn: „Es ist für mich Skulptur, wenn ich Wege und Modelle für gesellschaftliche Bereiche entwickle.“ Daß diese gesellschaftliche Arbeit hin und wieder auch der Anschauung der Bilder und der sinnlich erfahrbaren Objekte bedarf, ist für den Bildhauer Beuys jedoch auch klar.
Beuys ist stolz darauf, daß er nie gezwungen war, laufend Kunst-Produkte abzuliefern. Er wartet vielmehr auf Situationen, in denen ihm die Schaffung von Objekten oder die Entwicklung von Aktionen notwendig erscheint.

Das ist der Grund dafür, daß Beuys auch noch nicht umreißen will, mit welchen Projekten er Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik eine große Einzelausstellung bestreiten würde. Gewiß ist aber, daß eine solche Ausstellung nicht in einem Düsseldorfer Kunstinstitut stattfinden wird: „Ich habe nicht das geringste Interesse, in Düsseldorf auszustellen … ich finde, was hier in Düsseldorf so gewesen ist an Interesse in Bezug auf meine Arbeit, das ist eigentlich gleich Null.“

Da hat Köln eher eine Chance. Einmal wird Beuys 1981 bei der großen internationalen Kunstschau in den Kölner Messehallen mit der Rekonstruktion seiner Ausstellung von 1964 in der Düsseldorfer Galerie Schmela vertreten sein. Zum andern gibt es vage Pläne von Karl Ruhrberg (Museum Ludwig) für eine Einzelausstellung.

Beuys stehe genau dort an der Spitze der Avantgarde, wo Irritation zur Faszination werde, sagte Wieland Schmied in seiner Rede auf den Bildhauer in der Goslarer. Kaiserpfalz. Das Phänomen Beuys liege darin, daß er seit einem Vierteljahrhundert an dieser Spitze stehe. „Wenn man den Avantgardisten als Vorreiter versteht, der das Niemandsland erforscht, der sich in ungewisse Gegenden bewegt, dann kann ich sagen, ich habe mich als solcher verstanden.“
Eines der wenigen Bekenntnisse, die Beuys in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz zum Lachen zwingen.

RP 12. 9. 1979

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