Arnold Bode-Preis 2009 geht an Urs Lüthi
Die Ehrung kommt spät, beinahe etwas zu spät: Der Schweizer Künstler Urs Lüthi (Jahrgang 1947) erhält den Kasseler Arnold Bode-Preis (10000 Euro) für das Jahr 2009. Lüthi ist ein Künstler, der mit Witz und Ironie nach dem Verhältnis des Menschen zur Welt fragt und dabei vornehmlich sich selbst als Modell und Medium wählt. Seit 1994 lehrt Lüthi an der Kunsthochschule Kassel. Seine Ausstrahlung ist so groß, seine Inspiration so stark und seine Haltung so offen, dass er wie ein Magnet die Studenten und nachwachsenden Künstler anzieht. Lüthi hat eine ganze Generation beeinflusst, und ist allein schon deshalb preiswürdig.
Sein erster Auftritt in Kassel, bei der documenta 6 (1977), war vergleichsweise bescheiden. Damals stellte sich Lüthi mit unauffälligen Fotos vor, die im documenta-Katalog in die Nähe der Body-art gerückt wurden. Auf den Bildern war immer wieder Lüthi selbst zu sehen in unterschiedlichen Posen und Verkleidungen. Sich selbst benutzte er als Modell nicht als Selbstdarsteller oder Narzist. Er war und ist vielmehr der Meinung, dass er, indem er sich stets selbst darstellt, die Individualität zurückdrängen und die unterschiedlichen Haltungen und Posen besser herausarbeiten kann.
Lüthi ging und geht es um das Ambivalente, um das Uneindeutige. Seine frühen Fotos wie das Bild Ill be your mirror von 1972 provozierten dadurch, dass sich Lüthi als Mann-Frau präsentierte. Da meldete sich nicht ein versteckter Transvestit zu Wort, sondern ein Künstler, der untersuchte, wie viel Feminines in einem Mann steckt. Und dabei dachte er nicht nur an sich selbst, sondern bot sich eben als der Spiegel für die anderen an. Genauso erforschte er das Verhältnis der Menschen zu den Dingen, mit denen sie umgehen, und stellte neben die Selbstbilder merkwürdig berührende Aufnahmen von Alltagsgegenständen.
Was Lüthi mit der Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild bezweckte, machte er 1990 in seiner Ausstellung im Kasseler Kunstverein anschaulich. Dort präsentierte er in einer Reihe auf Sockeln fünf Bronze-Köpfe, die immer nur ihn selbst zeigten. Doch die Köpfe waren nicht gleich. Jede spiegelte einen eigenen Ausdruck. Der eine Kopf blickte schmunzelnd nach unten, der zweite ernsthaft geradeaus und der dritte überlegen nach oben. Ließ man den Blick schnell hin und her schweifen, dann rückten die Köpfe zusammen, schienen sich zu bewegen und ergaben einen nahezu filmischen Ablauf.
Seinen großen internationalen Auftritt hatte Lüthi im Sommer 2001, als er die Schweiz in der Biennale von Venedig vertreten durfte. Im Schweizer Pavillon zog Lüthi eine Art künstlerische Bilanz und zeigte zugleich, wie wegweisend seine Arbeiten immer noch waren. Hatte Lüthi in den 70er-Jahren eher die Gegenwelt zur oberflächlichen Schönheit gesucht, drehte er nun den Spieß um und übertrumpfte den Hang zum Schönen (auch in der Kunst) durch noch glattere und schönere Formen, um so deren Hohlheit vorzuführen. Er interpretierte seine älteren Arbeiten neu und überraschte mit einer hyperrealistischen Skulptur, die ihn in der Pose einer Liegenden zeigte. Die überlebensgroße Figur erschien älter, als der Künstler zu der Zeit war. Die Haut war runzliger, der Mensch schien dem Tode näher. Umso paradoxer wirkte dieser Glatzkopf in seinem Freizeitdress, der in ein kindliches Spiel versunken war er hatte aus der Hand einen kleinen roten Ball fallen lassen. Das war ein Schlüsselporträt der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der die Frage nach dem Alter neu gestellt werden muss. Zugleich war es eine herrliche Parodie der Denkmalskunst.
Der Mensch, der Künstler, zwischen verlockender Schönheit und Tod. Eine Video-Installation zeigte, wie der Künstler auf einem Laufband vor einem Totenschädel wegzurennen versucht, um zu einer Schönheit zu gelangen. Doch alles ist vergebens. Er läuft und kommt trotzdem nicht voran.
26. 3. 2009