Zwei Wochen lang steht ganz Berlin im Zeichen von Joseph Beuys. Während im Westberliner Martin-Gropius-Bau seit gestern die für Europa erste umfassende Ubersicht über das Gesamtwerk des 1986 gestorbenen Künstlers gezeigt wird, ist noch bis zum 6. März in der Ostberliner Akademie der Künste die für die DDR erste repräsentative Ausstellung des zeichnerischen Schaffens von Beuys zu sehen. Die Ostberliner Schau stellt das Frühwerk vor, dokumentiert den Beuys vor Beuys und offenbart eine zeichnerische Intensität und Kraft, wie sie auch in der Bundesrepublik bisher nur selten studiert werden konnte.
Die Zeichnungen bilden auch in der Schau im Gropius-Bau einen besonderen Schwerpunkt. Zu sehen ist hier der Zyklus The secret block for a secret person in Ireland (Der geheime Block für eine geheime Person in Irland), der aus 456 Blättern besteht und unter den insgesamt rund 15 000 Zeichnungen von Beuys eine herausragende Stellung einnimmt. Die Zeichnungen mit ihrem enormen Reservoir an Formen und Ideen bilden innerhalb der Werkschau eine eigene Ausstellung.
Im Vorfeld zu der Berliner Beuys-Schau, die den Auftakt zu dem Programm Kulturstadt Europas 1988 bildet, hat es tiefgreifende Auseinandersetzungen darum gegeben, wie man nach Beuys mit den Werken von Beuys umgehen könne. Erstmals entzündet hatte sich dieser Streit anläßlich der Präsentation der Installation Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch auf der Kasseler documenta 8. Daraufhin hatte ein Freundeskreis von Ausstellungsmachern, der sich mit der Beuys-Witwe Eva verbündete, verhindert, daß die Beuys-Sammlung im Darmstädter Landesmuseum für die Berliner Schau auseinandergerissen und so vielleicht auf Dauer zerstört würde.
Ins Kreuzfeuer der Kritik war dabei Heiner Bastian geraten, der lange Zeit zu den engen Mitarbeitern und Interpreten von Beuys gezahlt hatte, nun aber mit seinen selbstherrlichen Deutungen und Inszenierungen des Beuysschen Werkes auf Widerspruch traf. Der Konflikt verschärfte sich, weil Bastian nicht nur auch die Interessen des gewichtigen Beuys-Sammlers Marx vertrat, sondern zudem als Planer der jetzt eröffneten Berliner Schau wie der alleinige Sachverwalter des Düsseldorfer Künstlers erschien.
Die Inszenierung der Installationen im Gropius-Bau liefert zusätzlichen Stoff für die Kritik an Bastians Art, mit den Werken umzugehen. Er beruft sich allerdings, wie er es gestern in der Pressekonferenz tat, darauf, daß der Bildhauer und Zeichner Beuys vorzustellen sei und nicht der Ideenträger. Trotz aller Bedenken bleibt die Berliner Schau ein Ereignis, weil hierzulande noch nie zuvor das Schaffen von Beuys (einschließlich der fast kaum bekannten frühen plastischen Arbeiten) so umfangreich zu sehen war. Die großen Werk- komplexe lassen erstmals die wahren Dimensionen sichtbar werden. Der Mythos Beuys erhält eine noch stabilere Basis.
HNA 20. 2. 1988