„Das ist nu ein Beginn“

Rückblick auf das Leben von Beuys

Es gibt nur wenige Künstler, deren Werk so unmittelbar mit dem Auftritt und der Aktion des Schöpfers verbunden ist, wie es bei Joseph Beuys der Fall war. Seine Bilder, Objekte und Installationen begriff er nie als Selbstzweck, sondern als Verbildlichungen seines Denkens und Handelns. Sein „erweiterter Kunstbegriff“ wollte eben nicht nur ungewöhnliche Materialien einbeziehen, sondern sollte über die traditionellen Kunstformen hinauszielen – zum Menschen hin und in die Gesellschaft hinein.
So ist es naheliegend, daß Beuys als Gestalter, als Denker und als Diskutant selbst immer wieder zum Motiv der Fotografen wurde. Unsere Bildauswahl will diese faszinierende menschliche Seite des in der Vorwoche gestorbenen Künstlers noch einmal vor Augen führen.

Eine Erinnerung: 1972 hatte Joseph Beuys zur documenta 5 im Kasseler Museum Fridericianum ein Büro seiner „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ eingerichtet. 100 Tage lang war er hier, Tag für Tag, präsent, stellte sich den Besuchern, warb um Verständnis für seine Thesen für eine neue Gesellschaftsordnung. Damals erschien er vielen noch wie ein Einzelkämpfer.

Fünf Jahre später, wieder auf der documenta, diskutierte er abermals im Fridericianum 100 Tage lang. Jetzt aber, unter der Honigpumpe, stand er nicht mehr allein, sondern konnte sich unter Gleichgesinnte mischen und seine Idee von einer Freien Internationalen Universität praktizieren. Bei der documenta 7 (1982) schließlich war er soweit, daß er den Kunstbereich sichtbar aufbrechen konnte. Ausgerechnet bei der documenta, für die Rudi Fuchs den Rückzug ins Museum proklamiert hatte, verließ Beuys den musealen Rahmen und ging mit seiner Aktion „7000 Eichen“ in die Stadt hinein.

Kassel wurde auf diese Weise zu einer beständigen Herausforderung für Beuys, seine Visionen weiterzuentwickeln. Und so ist es eine glückliche Fügung, dass die documenta-Stadt nicht nur durch die Baumpflanz-Aktion von Beuys mitgestaltet wurde, sondern daß sie auch dank eines Leihgaben-Komplexes in der Neuen Galerie über eine der größten Beuys-Sammlungen verfügt. „Das Rudel“, ein alter VW-Bus, aus dem 24 Schlitten zu fliehen scheinen, bildet den Mittelpunkt der Sammlung: Die Schlitten, ausgerüstet mit Filz (Wärme), Fett (Nahrung) und Stablampen (Licht), fliehen die industrialisierte Welt.

Doch der von Rudolf Steiner angeregte Joseph Beuys wollte alles andere als den Rückzug in die Natur, er wollte die Weiterentwicklung, die Überwindung der gegenwärtigen Hemmnisse: „Ich bin natürlich gegen Rousseau. Der Mensch in diesem Zu-
stand,“ sagte er in einem Gespräch mit Heiner Bastian, „das ist gar kein Mensch. Das ist nur ein Beginn von Mensch. Und der Mensch von heute ist eine Stufe des Menschen. Was der Mensch in der Zukunft sein wird, das wird vielleicht langsam erst ein Mensch…“

Zu den Eigenarten im Wirken von Beuys gehört auch, daß der einzige umfassende Überblick über sein Werk insgesamt, nicht in Deutschland zu sehen war, sondern im New Yorker Guggenheim-Museum (1979). Beuys hatte sich zu dieser Retrospektive überreden lassen, weil der Einsatz des Museumsdirektors „so persönlich, so intensiv und so begeistert“ war. Er erwartete von den anderen stets die Intensität, die er von sich selbst verlangte. Wer sich da zögernd verhielt, blieb auf der Strecke. Nur so ist auch zu erklären, daß in den Museen in Kassel, Krefeld und Mönchengladbach das Werk von Beuys breiter und besser präsentiert ist als in Düsseldorf, wo er über drei Jahrzehnte lebte und wirkte. Nun überlegt man dort, ob man nicht ein Beuys-Museum errichten könne.

HNA 1. 2. 1986

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