Wer kann Beuys spielen?

Fällt die große Beuys-Ausstellung, die im kommenden Februar im Martin-Gropius-Bau den Auftakt zur Veranstaltungsreihe „Berlin – Kulturstadt Europas 1988“ bilden soll, erheblich kleiner als gedacht aus? Nachdem Ausstellungsleiter Heiner Bastian schon vor langer Zeit von dem Gedanken Abschied nehmen mußte, die in der Kasseler Neuen Galerie aufgestellte Beuys-Installation „Das Rudel“ nach Berlin zu bekommen, sieht er sich nun einer geballten Front von Kunsthistorikern und Beuys-Vertrauten gegenüber, die (wie berichtet) verhindern will, daß Teile des „Darmstädter Blocks“ auf Reisen gehen. Bei diesem Block handelt es sich um über 200 Objekte, die einst der Kunstsammler Karl Ströher von Joseph Beuys erwarb und dem Landesmuseum in Darmstadt als Leihgabe überließ.

Als vor einigen Jahren die Sammlung Ströher verkauft werden musste, blieb allein der Beuys-Block in Darmstadt. Die Käufer allerdings hielten sich bedeckt. Erst vorgestern, bei dem Auftritt der Initiative für den Erhalt der Beuys-Werke in Darmstadt, gaben sie sich zu erkennen. Es sind der Londoner Galerist Anthony d‘Offay und der Berliner Sammler Erich Marx, dessen Berater wiederum Heiner Bastian ist. Beide Eigentümer ließen zu Protokoll geben, daß sie sich fur das Zusammenbleiben des Beuys-Blocks ein setzen wollten.

Warum diese Aufregung um die Ausleihe einiger Kunstobekte angesichts eines regen internationalen Leihverkehrs? Warum die Front gegen Bastian, der ja selbst ein langjähriger Begleiter, Anwalt und Interpret von Beuys ist?

Es gibt gleich mehrere Gründe: Die größte Schwierigkeit besteht wohl darin, daß Beuys keinen künstlerischen Nachlaßverwalter bestellt hat. So entfachte
sich nach seinem Tod ein Streit darum, wer denn nun Beuys und seine komplexen Installationen richtig deute und damit auch ein Recht habe, die Objekte für Ausstellungen zu ordnen und damit selbst Beuys zu spielen. Heiner Bastian fühlt sich dazu durchaus befähigt und ermächtigt, aber er stieß bereits mit seiner Inszenierung des „Blitzschlags mit Lichtschein auf Hirsch“ zur Kasseler documenta 8 auf heftige Kritik.

Nun handelt es sich beim „Darmstädter Block“ um einen vielteiligen Werkkomplex, der aus kleinen, höchst empfindlichen Vitrinenobjekten ebenso besteht wie aus großen Bodenstücken. Bei der bisher einzigen umfassenden Beuys-Werkschau, die 1979 im New Yorker Guggenheim-Museum stattfand, waren die wesentliche Elemente aus Darmstadt genauso dabei wie das Kasseler „Rudel“.

Nach der Rückkehr der Arbeiten hatte Beuys sie in den Museen neu geordnet. Nun befürchten die Beuys-Freunde, bei einer erneuten Ausleihe könne das von Beuys geschaffene „Energiefeld“ zerstört werden. Es sei eben kein anderer in der Lage, die Objekte neu zu ordnen, ohne zu zerstören. Prof. Klaus Gallwitz, Direktor des Frankfurter Städel, schlägt daher einen Umweg als Ausweg vor: Die Berliner Ausstellung bezieht im Katalog den „Darmstädter Block“ insgesamt ein und verweist auf Darmstadt als zweiten Ausstellungsort.

Ein anderer Grund für den Warnruf ist die Furcht, die Teile, die erst einmal aus Darmstadt herauskommen, kehrten nicht wieder zurück. Schon länger gibt es Gerüchte, der Kunstsammler Marx wolle seine Bestände in einem eigenen Museum in Stuttgart präsentieren bzw. das Land Baden-Württemberg wolle den „Darmstädter Block‘ erwerben.

Kasper König, Ausstellungsleiter und Kunstprofessor in Frankfurt, sieht massiv das Land Hessen gefordert: Mit dem Kasseler Projekt „7000 Eichen“ und dem „Darmstädter Block“ verfüge Hessen über die beiden größten Werk-Komplexe von Beuys. Das Land müsse also, so König gestern gegenüber unserer Zeitung, alles daran setzen, um diesen Bestand zu sichern.

HNA 17. 12. 1987

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