Kräfte des Lebens

Zum Tod von Joseph Beuys

Einer der aufregendsten Künstler dieses Jahrhunderts ist tot. Joseph Beuys zog alle in seinen Bann, diejenigen, die ihm fasziniert auf unbekannte Felder der Kunst folgten, und jene, die sich an ihm rieben und ihn ablehnten. Beuys gegenüber gab und gibt es keine Gleichgültigkeit. In den 60er Jahren wurde sein Name zum Inbegriff der Avantgarde und blieb es auf eine erstaunliche Weise bis heute, und gleichzeitig wurde er zum Reizwort für alle, die zur Moderne generell kein Verhältnis fanden. So verwundert es nicht, daß einer der schwierigsten zugleich zum populärsten Künstler im Nachkriegsdeutschland wurde.

Joseph Beuys, hat unser Verhältnis zur Welt geändert, indem er den Blick auf die Urkräfte des Lebens lenkte, die Botschaften der einfachen Materialien wiederentdeckte und ihre natürliche gestalterische Kraft aktivierte. Er sprengte nicht aus formaler Lust den Kunstbereich mit seinem festen Sprachenkanon auf, sondern aus dem Vertrauen darauf, daß die Dinge und Stoffe selbst sprechen können.

Die von Beuys stets getragenen Filzhüte wurden vielfach als marottenhafte Markenzeichen belächelt. Doch der Künstler behielt den Hut nicht nur aus Extravaganz oder Trotz gegen bürgerliche Normen auf, sondern aus einem tief verwurzelten Schutzbedürfnis und dem Gefühl, daß der wärmende Filz seine Verwundbarkeit mildern könne. Leidgeprüfte, aber auch hoffnungsspendende Erfahrungen hatten ihn dazu gebracht: Beuys, der nach seinem Abitur (1940) Kriegsdienst als Sturz- kampfflieger leistete, entging 1942 bei einem Absturz über der Sowjetunion nur knapp dem Tod. Das Einpflanzen einer Silberpiatte in seine Schädeldecke erweckte das fortdauernde Schutzbedürfnis. Weit wichtiger aber war, daß unmittelbar nach seinem Absturz Stoffe wie Filz und Fett, die er später bevorzugt als Materialien nutzte, zu seinen Uberlebenshelfern wurden.

Viele Arbeiten und Aktionen von Joseph Beuys schienen weit hinaus in fremde, ja, abseitige Gefilde zu führen, in Wahrheit zielten sie meist nach innen, in die eigene Biographie, in unsere Geschichte, unser Herkommen und unsere mythischen Wurzeln. Beuys setzte auf Wandlung und Austausch, auf Dialog und die schöpferische Zusammenarbeit aller. Zum Sinnbild dafür wurde seine Honigpumpe, die er 1977 zur documenta 6 im Kasseler Fridericianum installierte: Die Herz- und Lebens- speise Honig, die ihrerseits den Kreislauf der Natur symbolisiert, wurde durch ein in sich geschlossenes Schlauchsystem gepumpt, um den Austausch der Lebenskräfte und damit der Meinungen der in diesem Raum diskutierenden Menschen zu symbolisieren.

Unter der Honigpumpe praktizierte Beuys 100 Tage lang erstmals seine Freie Internationale Universität (FIU), die dann unter anderem in Kassel dauerhafte Wurzeln schlagen sollte. Dieser Beitrag machte begreifbar, was Beuys mit seiner Vorstellung von der „sozialen Plastik“ meinte. Schon fünf Jahre zuvor hatte er in seinem documenta-,Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung‘ seine Ideen in unermüdlichen Diskussionen erörtert: Jeder Mensch sei ein Künstler, nicht um Kunst zu schaffen, sondern an der Entwicklung der Gesellschaft schöpferisch mitzuwirken.

Mit seinem größten Projekt verließ Beuys, unter dem Schutzmantel der documenta 7, endgültig die geschlossene Welt der Museen und Kunsthallen:
Die Aktion „7 000 Eichen“ – zusammen mit 7 000 Bäumen sollen ebensoviel Basaltsäulen im Kasseler Stadtgebiet gepflanzt werden – mischte sich direkt in stadtplanerische Angelegenheiten ein. Der Widerstand der Stadt und von Teilen der Bevölkerung (vor allem gegen den Basaltberg auf dem Friedrichsplatz) war eingeplant. Doch die Stadt leistete nicht Widerstand, sondern Amtshilfe. Und Beuys überwand auch die größten Finanzierungsprobleme dieses 3,5-Millionen-Mark-Projekts.

Die spektakuläre Einschmelzung einer duplizierten Zarenkrone und die von Heiner Bastian initiierte Aktion „Künstler spenden für 7 000 Eichen“ sind Meilensteine auf diesem Weg. Nach der Planung von Manfred Schneckenburger soll zum Auftakt der nächsten documenta (Juni 1987) der letzte der 7 000 Bäume gepflanzt werden. Gleichzeitig wollte er Beuys einen großen Raum für eine neue Arbeit zu Verfügung stellen. Es wäre die sechste documenta, an der sich Beuys in ununterbrochener Folge beteiligt hätte. Auch eine Ausnahme.

Beuys ist ein international hochgeschätzter Künstler. Seinem Naturell nach ist er immer ein rheinischer Künstler geblieben, der sich zu seinem Herkommen aus Kleve bekannte und der sich auch im Dunstkreis der Düsseldorfer Kunstakademie niederließ, an der er bei Ewald Mataré studiert hatte. Er verließ die Stadt nicht – auch nachdem ihn der damalige Wissenschaftsminister Rau als Professor fristlos entlassen hatte, weil Beuys sich über die Zulassungsbeschränkungen hinweggesetzt hatte. Vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel erreichte Beuys Jahre später einen Vergleich. Als vielgeachteter und heißbegehrter Hochschullehrer war er aber verloren.

Beuys nahm immer Partei. Er engagierte sich für Künstler, die es mit der Gesellschaft schwer hatten, kämpfte für Rechte und Freiheiten und fand bei den Grünen eine politische Heimat. Auch in der Politik wollte er aus den alten Formen ausbrechen.

Er hinterläßt ein riesiges Werk, zu dem neben den plastischen Arbeiten allein über 15 000 Zeichnungen gehören. Beuys war ungeheuer produktiv, und er verstand es, den Kunstmarkt zu nutzen; er legte aber ebenso Wert auf weite Verbreitung durch Drucke in hohen Auflagen. Alles war gleichermaßen. Botschaft.
Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er, als er vor vierzehn Tagen den Wilhelm-Lehmbruck-Preis in Duisburg erhielt. Schon lange war er von einer Lungenkrankheit gezeichnet, gegen die die Ärzte keine Mittel hatten. Nun erlag er einem Herzversagen. Am 12. Mai wäre er 65 Jahre alt geworden.

HNA 25. 1. 1985

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