Baum-Kunst

Joseph Beuys, aus Kleve stammender und in Dusseldorf lebender Künstler, hat lange Zeit Schwierigkeiten gehabt, der breiteren Öffentlichkeit begreiflich zu machen, daß seine künstlerischen Aktionen und politischen Aktivitäten unmittelbar miteinander zu tun haben. Dabei weisen viele Plastiken und Projekte von Beuys über sich hinaus, indem sie die Erinnerungen an Situationen und Verhaltensweisen wachrufen – wie die Honigpumpe in der vorigen documenta, die Sinnbild für den Lebenskreislauf und die auf ihn zielenden Diskussionen in der Freien Internationalen Universität sein sollten.

Das, was Beuys für die nächste documenta plant, wird in seiner politischen und ökologischen Zielrichtung unmissverständlich sein:
Er will ab Februar im Stadtgebiet von Kassel 7000 Bäume pflanzen, vornehmlich Eichen, und bevorzugt im Innenstadtbereich.

Nun ist die Idee, Kunst für die Natur zu aktivieren und Bäume zu pflanzen, nicht neu. Der Berliner Ben Wargin hat hierzulande Pionierarbeit
geleistet. Doch nur ein Künstler wie Beuys ist in der Lage, eine Pflanzaktion in dieser Monumentalität zu planen. Nur er scheint fähig, für die Kunst und damit für die Menschen etwas in Bewegung zu setzen, wozu in dieser finanzarmen Zeit kein Politiker die Kraft hätte.

Als Beuys gestern seine Vorstellungen in Kassel erläutern sollte, verzögerten Schnee und andere Widrigkeiten seine Ankunft. So wurde erst ohne ihn spekuliert; und als man darauf kam, daß das Projekt zwischen 700 000 und 14 Millionen Mark kosten würde, erschien der Künstler wieder mal als Utopist. Doch Beuys ist Realist; er rechnet mit zwei Millionen Mark und ist sicher, daß er die Aktion durchziehen kann.

Beuys ist aber auch Grüner und Ökologe und weiß, daß die Bäume nicht in einem Spätwinter zu pflanzen sind. Die Aktion wird sich über Jahre hinziehen und so immer einen Rest von documenta-Leben bewahren. Den Stand der Pflanzaktion soll man indirekt am Vorplatz des Museum Fridericianum ablesen können: Dort sollen die 7000 ein Meter langen Basaltblöcke lagern, die jedem Baum als Zeichen mitgegeben werden sollen. Ist der letzte Baum gepflanzt, ist auch der letzte Stein verschwunden.

HNA Dezember 1981

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