Künstler und Utopist

1972 setzte der damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Rau den Kunst- Professor Joseph Beuys fristlos vor die Düsseldorfer Akadexnie-Tür. Neun Jahre später, wenige Tage vor seinem (heutigen) 60. Geburtstag, bot dieser – wie berichtet – Joseph Beuys an, die Leitung der mittlerweile führungslosen Kunstakademie zu übernehmen, zumal sich keiner der derzeitigen Düsseldorfer Kunst-Professoren dieses Amt aufhalsen will.

Es sind Hochschulen vorstellbar, die dieses Angebot geradezu als Ehre begreifen würden. Immerhin ist Beuys zur Zeit nicht nur einer der prominentesten deutschen Künstler, sondern auch international einer der wichtigsten Avantgardisten. In Düsseldorf wird das Angebot aber eher als original1er Einfall verbucht. Dabei wäre die Berufung von Beuys eine nicht uninteressante Lösung, denn mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß der aus Kleve stammende Künstler als Lehrer ein großer Anreger war außerdem hat sich seine Idee von einer Freien Internationalem Universität für Kreativität längst in vielen lebendigen Zellen, so auch in Kassel, verwirklicht.

Beuys hat viele Seiten, und immer wieder ist man versucht, die eine gegen die andere auszuspielen – den Politiker und Grünen gegen den stillen Zeichner, den Mann mit Hut gegen den Gesellschafts-Utopisten oder den Bildhauer, der er als Schüler von Ewald Mataré ursprünglich ist, gegen den FIuxus- und Aktionskünstler. Doch das ist die Sicht von außen. Beuys geht, nicht nur für sich, von der Ganzheit des schöpferischen Menschen aus, das eine bedingt das andere. Künstlerisches Handeln entspringt gesellschaftlichem Denken und die Formung eines neuen Gesellschaftsentwurfs wird zur künstlerischen Aufgabe.
Eine der wesentlichen Leistungen von Beuys liegt darin, Dinge zusammengebracht zu haben, die wir mit Vorliebe streng trennen, und Quellen, die verschüttet waren, wieder nutzbar zu machen Vor allem die Begrenztheit naturwissenschaftlicher Praxis führte Beuys dazu, Wissenschaft: und Geschichte, Mythen und Kindheitserinnerungen zu aktivieren und zu verschmelzen.

Die daraus gewonnene, auf ungewohnte Weise sinnliche Kunst, erscheint vielen daher spröde und schwer zugänglich, weil sie zu passiv, zu wenig schöpferisch den Arbeiten begegnen. Gerade weil Beuys sich nie auf eine Kunst einließ, der die Lösung von Formproblemen genügt, ist jedes seiner Werke, auch die Postkarte in Tausenderauflage, eine Botschaft, die etwas vom Denken und Gestalten des Künstlers transportiert.

Wer sich auf das Abenteuef Beuys einläßt, kann an Erfahrungen, an Erlebnisraum gewinnen: Nicht erst das kunstvoll gestaltete Motiv kann Bedeutungsträger sein, sondern das Material selbst – der Filz als wärmender, isolierender Stoff, das Fett als Energiespender, der Honig als Lebensnahrung oder das Metall als Energieleiter. Und so hat die Einbeziehung einer Fettspur in eine Zeichnung nichts mit einer Ästhetik des Häßlichen zu tun, sondern mit einer Kunst, die
auch das Gewöhnlichste und – Alltäglichste als Ausdrucksmittel für sich nutzbar macht.

Beuys wurde bekannt durch das Spektakuläre, und so wurde auch häufig seine Kunst als Spektakel, als Provokation begriffen. Doch seine Arbeiten suchen eher die Stille, sind vital und ruhig zugleich wie die Honigpumpe auf der vorigen documenta. Sie war unübersehbar und unauffällig zugleich und war dabei Sinnbild für das pulsierende Leben in der dort eingerichteten Freien Internationalen Universität.

HNA 12. 5. 1981

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