Die Art ist in keinem Botanik-Buch verzeichnet. Und doch breitet sie sich aus wie ein wildes Kraut: Der Beuys-Baum, weithin erkennbar an der ihm jeweils zugesellten Basaltsäule, erobert die Landschaft. Vorläufig fast nur im Kasseler Raum. In ein paar Jahren auch in Hamburg oder anderswo.
Was im ersten Moment wie ein Gedankenblitz erschien, wie die spontane Idee von einem monumentalen documenta-Werk, hat sich im gut behüteten Kopf des Künstlers Joseph Beuys zu einem Lebensplan erweitert: Verwaldung überall. Kassel ist nur ein Anfang.
Das Ende des Kasseler Anfangs wird nun allmählich absehbar. Mit dem 3500. Baum hatte das Beuys-Team gestern genau die Hälfte der Pflanzaktion geschafft. Und die Jubiläums-Pflanzung war ein Beweis für die Notwendigkeit dieser Aktion: Ein trister Hinterhof-Schulplatz erhält durch einen Kreis aus sechs Beuys-Bäumen Gestalt (und im Sommer dazu Grün).
Bäume dahin zu bringen, wo sie gebraucht werden, auch gegen Widerstände, das ist der Plan. Um dieses Ziel auch finanziell zu erreichen, setzt Beuys bewußt seinen künstlerischen Ruhm ein. Wer traditionelle Kunst will, muß für die Verwirklichung der neuen Kunst zahlen, verrät er verschmitzt. Wohl denn, so möge er viele Ruhmes-Gelder bekommen, auf daß sich die Beuys-Bäume vermehren.
HNA 17. 11. 1984