Byars: Beuys soll documenta 8 leiten

Der Amerikaner James Lee Byars ist ein Zeremonienmeister der Kunst. Wo er geht und steht, verbreitet er eine geheimnisvolle Stille und Feierlichkeit. Bei der documenta 5 (1972) war er im weißen Anzug in den Giebel des Museums Fridericianum gestiegen und hatte sich zum verschwiegenen (Ausrufe-)Zeichen der Ausstellung gemacht. Bei der documenta 7 (1982) hatte Rudi Fuchs ihm die Eingangshalle des Fridericianums überlassen; Byars gab eine Goldsäule hinein und schuf so die von Fuchs gewünschte feierlich-meditative Einstimmung.

Im Katalog zur documenta 7. stellte sich Byars auf einer schwarzen Seite in weißer Schrift mit dem Satz vor: „Ich bin der Geist der documenta-Einladung“. Nun, ein Jahr später, setzte er seinen orakelhaften Spruch in die Tat um. Er kam nach Kassel, um hier dem Oberbürgermeister, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der documenta ist, den Düsseldorfer Künstler .Joseph Beuys als künstlerischen Leiter der nächsten documenta (1987) zu empfehlen.

Auch diese Begegnung gestaltete Byars zur Kunst-Handlung: Er tritt auf als eine lebende, aber anonyme Skulptur – in goldenem Anzug, mit schwarzen Schuhen und Handschuhen, und das Gesicht unter einem Zylinder durch ein schwarzes Tuch verhüllt. Seine Beuys- Empfehlung überreicht er als Botschaft – auf tellergroßem, schwarzen Seidenpapier ist in Goldlettern gedruckt: Mr. Joseph Beuys makes the documenta 8 (Herr Joseph Beuys macht die documenta 8).

Kassels Oberbürgermeister Hans Eichel hört sich geduldig und wohlwollend Byars‘ überschwengliche Lobreden auf Beuys an: Dieser Künstler sei international angesehen, erfahren und alt genug, um die documenta zu leiten; er, der mit seiner Aktion „7 000 Eichen“ ein Wunder geschaffen habe, sei in der Lage, eine Ausstellung zu schaffen, die die Kunst der ganzen Welt einschließe und alle anspreche; eine Beuys-documenta könne ähnlich wundervoll werden wie die documenta 5 von Szeemann.

Ein ernsthafter Vorschlag oder nur die Aktion eines Künstlers? Für Byars gibt es dieses „oder“ nicht, er meint beides. Er übermittelt Botschaften, das Auslegen können andere besorgen. Kassels Oberbürgermeister Eichel – eigentlich froh, die Personal-Empfehlung einer Findungskommission übertragen zu haben und nun verlegen, weil er doch damit behelligt wird – nimmt Byars‘ Auftritt als ernsthafte Intervention. Er verspricht, den Gedanken zur Diskussion zu stellen.

Ihre Empfehlung für den künstlerischen Leiter der documenta 8 soll die Expertenkommission in der nächsten Woche formulieren. Nachdem Armin Zweite (München) „aus persönlichen Gründen“ seine Kandidatur zurückgezogen hat, sind noch vier Kandidaten im Rennen: Germano Celant (Genua), Wulf Herzogenrath (Köln), Kasper König (Köln) und Edi de Wilde (Amsterdam).

HNA 8. 6. 1983

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