Gleich zwei Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagszuges 1981 führten einen überdimensionalen Hut vor. Es ging um den Hut des Joseph Beuys, den dieser immer und überall trägt. Kein Zweifel, Beuys ist populär; man kennt ihn und seinen Namen, auch wenn man seine Arbeiten nicht kennt.
Doch je mehr Anerkennung ihm vor allem in den siebziger Jahre widerfuhr (durch Ausstellungsbeteiligungen und Preisverleihungen), je mehr er zu dem internationalen Repräsentanten zeitgenössischer deutscher Kunst wurde, desto mehr wurde sein Name in der der Kunst fernen Offentlichkeit zum Reizwort. Vor allem diejenigen, die sein Wirken am schlechtesten kennen, neigen am ehesten dazu, ihre aufgestaute Wut über die vermeintlich unverständliche Kunst mit dem Namen Beuys herauszuschreien.
In der Tat ist Joseph Beuys eine Figur, an der die vertrauten Klassifizierungsmechanismen zerbrechen. Der Künstler trifft sich mit dem Politiker und der Prophet mit dem Clown. Vor allem ist Beuys Mensch; ein Mensch, der sich nicht in Rollenfunktionen aufteilen läßt; ein Mensch, der auf die sinnlichen Kräfte setzt und der an die schöpferischen Talente der Menschen glaubt. Die Kreativität ist für ihn nicht nur ein begrenztes Mittel zum Verfertigen eines Bildes, sondern ein allumfassender schöpferischer Fundus, mit dessen Hilfe gesellschaftliche Formen neu
gestaltet werden können. Beuys verschrieb sich der Kunst, nicht nur, weil er künstlerisch tätig sein wollte, sondern auch, weil er erkannte, daß allein die Kunst ausschließlich im Dienst der Kreativität steht und daß nur sie wahren Freiraum gewährt. Ausgiebige naturwissenschaftliche Studien in den vierziger
und vor allem in den fünfziger Jahren brachten Beuys dazu, für sich den Wissenschaftsbegriff mit seiner Bevorzugung des Intellektuellen zu überwinden und zu einem erweiterten Wissenschafts- und Kunstbegriff zu gelangen. Und wenn aus dieser Hinwendung zum Kreativen er die Einsicht formuliert, daß jeder ein Künstler sei, dann meint er nicht, daß nun unbedingt alle Menschen Bilder malen oder Plastiken formen sollten, sondern daß alle befähigt seien, schöpferisch zu wirken und an der zu formenden sozialen Plastik mitzuarbeiten. Der Mensch und die Gesellschaft wären mithin die eigentlichen Themen und Objekte schöpferischer Arbeit; die Kunst gäbe dabei nur die Basis ab, auf der die Modelle entwickelt werden: Meine Objekte sollten Gedanken darüber provozieren, was Skulptur sein kann und wie das
gestalterische Konzept auf die unsichtbaren Dinge übertragen werden kann, die jeder benutzt (Denk- und Sprach-Formen sowie soziale Plastik). So schreibt Beuys im Katalog zu der Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum.
Der Zugang zu Beuys ist nur dann wirklich schwer, wenn man ihn über die vertrauten Normen sucht, wenn man die Beuysschen Utopien an den Sachprogrammen der Parteien mißt und wenn man seine Zeichnungen und plastischen Arbeiten nur aus dem Blickwinkel traditioneller Kunst betrachtet. Vielleicht erscheint Beuys deshalb so vielen fern, weil er den ganz einfachen Dingen ihre Bedeutung zurückgibt, weil er uns lehrt, daß nicht nur Formen, sondern die Stoffe selbst zu Botschaftern werden können. Nur so ist zu verstehen, daß Filz, Fett, Wachs und Eisen zu derart zentralen Materialien im Beuysschen Werk wurden: Sie werden in ihrer Urbedeutung in einer fast magischen Weise verwandt.
Schönheit im klassischen Sinne ist für das Beuyssche Werk kein Thema, obwohl dem Künstler am Schönen im Sinne des Wahren sehr wohl gelegen ist. Dem Zeichner, Bildhauer und Aktionskünstler geht es vordringlich um immer neue Entwürfe, um mit ihrer Hilfe Kräfte der Erinnerung, des Empfindens und des Schöpfens freizusetzen.
Die Objekte und Installationen von Beuys werden auf dem Markt zu hohen Preisen gehandelt. Und doch sieht der Künstler darauf, daß es von ihm auch immer kleine Drucke oder Objekte (Multiples) gibt, in Massenauflagen, die, mit seinem Signum versehen, auch zu Taschengeldpreisen zu erwerben sind.
Dieser Joseph Beuys ist am 12. Mai 60 Jahre alt geworden. Geboren in Krefeld und aufgewachsen in Kleve, gilt Beuys heute vielen als ein Künstler, der nur in der niederrheinischen Landschaft so werden konnte. Seit mehr als 30 Jahren darf er zu den Düsseldorfer Künstlern gerechnet werden, und doch verbindet Beuys mit seinem Wohnort bestenfalls eine
Haßliebe. Er erwartet von dieser Stadt nicht viel, und er denkt auch nicht daran für sie viel zu unternehmen, etwa eine große Retrospektive seiner Arbeiten. Wenn er eine solche Anstrengung auf sich nimmt, muß schon jemand da sein wie Thomas Messer, der Direktor des Guggenheim-Museums, der ganz und gar überzeugt ist, sich nicht abweisen läßt und am Ende selbst zum Uberzeugenden wird. Ein solcher Mann war für Beuys in Düsseldorf der im vorigen Jahr gestorbene Galerist Schmela. Schmela setzte sich früh und nachhaltig für
Beuys ein und ermöglichte ihm 1965 die erste Einzel-Ausstellung in einer Galerie. Diese Ausstellung wurde übrigens in der am 30. Mai in Köln eröffneten Westkunst-Ausstellung rekonstruiert.
Schon früh, als 20jähriger, kam Joseph Beuys mit den Ideen von Rudolf Steiner in Berührung. Es wäre verfehlt, seine human-sozialen Vorstellungen ausschließlich auf Steiner zurückzuführen, doch gibt es offenkundige Abhängigkeiten und Verwandtschaften. Und so ist es kein Zufall, daß Beuys mit seinen Gedanken sehr früh unter Anthroposophen und Anhängern einer neuen OkologieBewegung Freunde fand. Der Weg zu den Grünen war da nur logisch.
Schon Ende der sechzigerJahre hatte Beuys damit begonnen, mit seinen künstlerisch-sozialen Vorstellungen über die Düsseldorfer Kunstakademie in die breite Offentlichkeit zu wirken. Die Gründung der Deutschen Studentenpartei (1967) war ein erster Versuch, der aber von vielen als spielerische Aktion des Fluxus- und Happefing-Künstlers mißverstanden wurde. Der Auftritt auf der Kasseler documenta 5 (1972) aber, bei dem er 100 Tage lang von morgens bis abends mit Besuchern über seine Organisation für direkte Demokratie diskutierte, ließ seine Gedanken nachhaltig über den engen Kunstbereich hinausdringen. So fiel seine Idee von der Freien Internationalen Universität (für Kreativität) auf fruchtbaren Boden und führte zur Gründung von Seminar- und Gesprächskreiszirkeln in vielen Städten.
Wie wichtig für Beuys dieser Teil seiner Arbeit ist, kann an zwei Beispielen abgelesen werden: 1977 nutzte er das Angebot, an der documenta teilzunehmen dadurch, daß er seinen Raum zu einem ständig überfüllten Forum der Freien Internationalen Universität werden ließ und dabei häufig selbst nur Zuhörer blieb; auch das Atelier in der Düsseldorfer Kunstakademie, das sich Beuy nach seiner fristlosen Kündigung als Professor in einem bis zum Bundesarbeitsgericht führenden Verfahren gegen da Land wiedererstritt, wandelte er in ein FIU-Büro um.
Ausgangspunkt für den Arbeit Gerichtsstreit war gewesen, daß sich der Hochschullehrer Beuys über die Meßzahlen für die Zulassung von Studenten hinwegsetzen und allen Bewer bern das Studium bei ihm ermöglichen wollte. Dem wurde entgegengesetzt, daß ein Kunststudium mit hundert oder mehr Schülern in einer Klasse schier absurd sei. Die Studenten denken da anders. Die Herkunftsbezeichnung Beuys-Schüler wird heute wie eine Auszeichnung in die Biographien eingetragen.
Mai / Juni 1982