Fünf Jahre nach seinem Tod wird Joseph Beuys erstmals in Düsseldorf mit einer umfassenden Ausstellung gewürdigt.
Berlin war schneller, auch war die vor drei Jahren im Martin-Gropius-Bau gezeigte Beuys-Schau größer und repräsentativer. Trotzdem führt die Ausstellung, die jetzt in Düsseldorf in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu besichtigen ist, näher an das Wesen des Künstlers Joseph Beuys heran. Sie ermöglicht einen Blick in das Energiezentrum seines Werks. Ganz wesentlich trägt dazu die Auswahl der Zeichnungen und Aquarelle bei, die im direkten Zusammenhang mit dem plastischen Werk gezeigt werden. Allerdings läßt die Düsseldorfer Ausstellung auch die Gefahr sichtbar werden, daß sich jetzt im Umgang mit Beuys Werk eine neue, eine schöne Ästhetik herausbildet. Symptomatisch dafür ist der im Münchner Schirmer/Mosel Verlag erschienene Katalog (360 S., 49 Mark). Der sorgfältig
erarbeitete Band glänzt mit seinen farbigen Abbildungen und den kraftvollen Schwarz-Weiß- Reproduktionen. Doch die Buntheit und Deutlichkeit irritieren, da vieles nicht dem Charakter der Vorlage entspricht. Vor allem gehen die Brüchigkeit und Offenheit der Beuysschen Blätter verloren.
Für die Ausstellung gibt es einen doppelten Anlaß. Der eine war Beuys 70. Geburtstag am 12. Mai, der andere der Erwerb des letzten großen Beuys- Raumes Palazzo Regale (1985) für die Kunstsammlung. Der Rundgang durch die Ausstellung endet in der Installation Palazzo Regale, bestehend aus sieben Messingtafeln und zwei Messing-Glas-Vitrinen, die dauerhaft hier bleiben wird. So wird das Gefühl verstärkt, man gelange zu dem Vermächtnis von Beuys, in seine Gruft. In der Tat scheint es so, als habe Beuys Teile seiner Hinterlassenschaft geordnet:
Während in den Vitrinen Dinge (Eisengußkopf, Luchsmantel, Schneckenhaus, Rucksack, Kupferstöcke…) ausgestellt werden, die er für frühere Projekte und Aktionen schuf, hängen an den Wänden die Messingtafeln, die außer blindem Glanz nichts mitteilen.
Es ist im Sinne des Untertitels der Ausstellung (,Natur – Materie – Form) in dem Raum alles versammelt, was Beuys Denken und Arbeiten bestimmte. So schließt sich der Kreis, denn in keiner Ausstellung zuvor wurde derart anschaulich dokumentiert, wie frühzeitig und konsequent sich der Zeichner mit Glaubenssymbolen und Mythen auseinandersetzte, wie er zeichnend nach dem Wesen von Mensch und Natur fragte und nach den Beziehungen der beiden forschte. Beuys wird hier als ein vielschichtiger Künstler vorgestellt, als einer, der den Versuch unternahm, das Innen und Außen in einem abzubilden, und der auch zu ganz sinnlichen Bildern fähig war.
Die Zeichnungen und Aquarelle, von denen das Gros aus den 50er und 60er Jahren stammt, bilden den Fundus für das Beuyssche Werk. Hier ist fast alles gedanklich angelegt, was später den Aktionskünstler bestimmte. Die Schiefertafeln, auf denen Beuys zuletzt seine Gedankenmodelle für einen Dritten Weg der Gesellschaft in öffentlichen Auftritten skizzierte, erinnern daran, daß für diesen Künstler das Wort schließlich das gleiche Gewicht bekam wie die Linie.
Unter den zahlreichen Objekten und Installationen gewinnt der Raum Wirtschaftswerte eine neue Aktualität: Vor Wänden, an denen Meisterwerke der klassischen Moderne hängen, stehen Regale mit Waren in den farblosen Einheitsverpackungen der ehemaligen DDR. Kunstluxus und Grundversorgung – zwei Welten prallen aufeinander.
HNA 6. 12. 1991