Bäume als Zeichen neuen Denkens

Eririnern Sie sich noch an die Widerstände, die es gab, als vor neun Jahren Joseph Beuys damit begatn, Kassel zu verwalden? Gewiß, gegen Bäume hatte niemand etwas. Die durchgrünte Stadt wollten möglichst alle. Doch die Bäume sollten in Parks stehen und in Anlagen, in Fußgängerzonen und Gärten; da gehörten sie hin.
Aber mußten sie unbedingt auch in dicht befahrenen Straßen gepflanzt und damit Parkplätze vernichtet werden? Oder noch schlimmer: Sollten die Bäume und die ihnen zugesellten Basaltsäulen zu Todesfallen für Zweirad- und Autofahrer an Durchgangs- und Ausfallstraßen werden? Der gelegentliche Unmut über die zur documenta 7 begonnene Pflanzaktion ist nicht vergessen und auch die Kreuze sind es nicht, die aus Anlaß eines tödlichen Unfalls auf die Beuys-Steine gemalt wurden.

Joseph Beuys, der die Vollendung seines Kasseler Projekts „7000 Eichen“ nicht mehr erleben sollte, hatte mit Widerständen gerechnet. Doch nicht die Verwaltung legte ihm so sehr Steine in den Weg. Die verschiedentlich aufflammende Opposition war andernorts zu suchen
Heute, da einem die Alleen beim Hineinfahren nach Kassel und auch innerhalb der Stadt höchst vertraut sind, erscheinen die damaligen Auseinandersetzungen um die Bäume wie ein schlechter Traum.

Längst sind die Beuys-Alleen zu Vorbildern für die Begrünungspolitik in der Stadt und im Landkreis geworden. Und wenn man sieht, in welch dichter Folge an
der jüngst ausgebauten B 83 (zwischen Waldau und Fuldaaue) Bäume gesetzt wurden, da könnte man meinen, Beuys sollte nun ausgestochen werden.

Der Künstler Beuys hat das Bäume-Pflanzen nicht erfunden. Das wußte er. Doch In einer Zeit, in der die Nachrichten vom Waldsterben das Bewußtsein mitbestimmen, verstanden es Beuys und seine Mitarbeiter, Bäume genau dort durchzusetzen, wo sie ungewohnt schienen oder als störend empfunden wurden: Bauminseln verengten Straßen und Baumreihen schrieben Fahrbahnbreiten fest: Die Spielräume für die Fußgänger wurden erweitert.

Wir alle haben mittlerweile daraus gelernt. Für viele ist der Lernprozeß aber mit schmerzlichen Erfahrungen verbunden, denn wo der fließende Verkehr nicht mehr absolut Vorrang hat, gilt das vermeintliche Grundrecht, zu jeder Zeit mit dem Auto zu jedem Punkt freie Zufahrt zu haben, auch nicht mehr. So sind die neu gepflanzten Straßenbäume mehr als grüner Schmuck; sie sind Zeichen eines gewandelten Denkens.
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HNA 4. 5. 1991

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