Beuys in der DDR

In der Ostberliner Akademie der Künste drängen sich die Besucher vor den Bildern von Joseph Beuys: Es ist das erste Mal, daß einem breiten Publikum in der DDR seine Arbeiten vorgestellt werden, der die westliche Kunstlandschaft in den vergangenen 20 Jahren am nachhaltigsten verändert hat. Und das kunstinteressierte Publikum macht in erstaunlich hohem Maße Gebrauch von diesem Angebot.

Die in Bonn gestartete Ausstellung wird im Lauf des Jahres noch über Leipzig und Brüssel nach Hamburg und Frankfurt reisen. Es gibt einen guten Grund für diese ausgesprochen lange Tournee: Die 216 Blätter, die in dieser Schau zusammengefaßt sind, kommen aus der Sammlung van der Grinten und wurden bisher kaum öffentlich gezeigt. Sie machen mit einer relativ unbekannten Seite des Bildhauers und Aktionskünstlers bekannt, nämlich mit seinem Werk, das zur einer Zeit entstand, als Beuys noch seinen Weg suchte. „Beuys vor Beuys“ heißt dementsprechend das Motto der Ausstellung.

Den Titel trägt auch das Katalogbuch, das die Schau begleitet. Das wohlfeil gestaltete Buch, das einfühlsame und hilfreiche Texte von Klaus Gallwitz und Werner Hofmann enthält und das auch durch einen reich bebilderten Lebenslauf/Werklauf ergänzt wird, dokumentiert in hervorragender Form die zeichnerischen Eigenarten von Beuys: Einerseits schien er die allzu enge Nähe zum Papier zu scheuen, schien Angst davor zu haben, zuviel Farbe abzugeben, andererseits ließ er aus wenigen kraftvoll-eckigen Linien ausdrucksstarke Figuren und Landschaften entstehen. Die fast ausschließlich gegenständlichen Arbeiten sind in ihrer Schüchternheit und Zerbrechlichkeit bestens eingefangen.

Faszinierend an den Zeichnungen, Aquarellen und Collagen ist, daß in ihren Linien und Motiven der spätere Beuys schon voll präsent ist. Die Bilder wiesen seinem Denken den Weg. (Beuys vor Beuys, DuMont Buchver lag, KÖln, 224 5., 167 Werkabbildungen, 58 DM)

HNA 28. 2. 1988

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