Der von Beuys verwandelte Kopf

DerVorgang ist kurios: 17 Jahre nach dem Tod des Bildhauers und Aktionskünstlers Joseph Beuys (1921 -1986) hat dessen ehemalige Studentin Beatrix Sassen, die selbst Künstlerin ist, Anspruch erhoben, bei mehreren Beuys-Werken als Mitschöpferin genannt zu werden. Diese Forderung wurde jetzt vom Oberlandesgericht Düsseldorf. zurückgewiesen.

Das Gericht bestätigte, dass Beuys in mehreren seiner plastischen Arbeiten einen Kopf verwandt habe, dessen ursprüngliche Tonform von Beatrix Sassen stamme; aber diese Kopfversion sei lediglich der Ausgangspunkt gewesen. Vor allem konnte die Klägerin nicht darlegen, ob und inwieweit Beuys die Vorlage verändert habe.

Verwunderlich an dem Vorgang ist, dass die Künstlerin erst jetzt ihren Rechtsanspruch geltend machen wollte. Schließlich sind die Werke, in
denen die Kopfform vorkommt, seit langem bekannt. Die prominenteste Fassung ist Teil der Installation „Straßenbahnhaltestelle“, die Beuys in den 70er-Jahren für die Biennale in Venedig geschaffen hatte. Ihren Anspruch hätte Beatrix Sassen also noch zu Lebzeiten ihres Lehrers geltend machen können.

Als Beuys-Experten hatte das Gericht den Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Prof. Armin Zweite, geladen, der in seinem Museum zentrale Werke von Beuys betreut. Zweite bezeichnete Beuys als „großen Assimilator“ ‚ der wiederholt Werke von Kollegen benutzt habe. Beatrix Sassen habe ihn schon früher darauf hingewiesen, dass sie ursprünglich den Kopf gestaltet habe, ohne sich über die Verwendung durch Beuys zu beklagen.

Ähnlich wie der Dramatiker Bertolt Brecht war Beuys sorglos im Umgang mit anderen Werken. Da er viele Objekte für seine Collagen, Skulpturen und Installationen direkt der Wirklichkeit entnahm, behandelte er gelegentlich auch Schöpfungen anderer als Vorlagen, denen er seinen Stempel aufdrückte.
So hat Beuys zwei Tafeln des Hamburger Aktionskünstlers Thomas Peiter in sein Werk integriert, ohne dass die Urheberschaft deutlich wurde. Peiter war 1972 während der documenta 5 in Kassel als „Dürer“ aufgetreten. Zu der Zeit war das gesellschaftliche Klima durch die Jagd nach den Terroristen Ulrike Meinhof und Andreas Baader vergiftet. Beuys seinerseits hatte auf einen traditionellen künstlerischen Beitrag zur documenta verzichtet und diskutierte 100 Tage lang mit den Besuchern über Kunst und Politik und warb für seine Idee von der Demokratie durch Volksabstimmung.

Thomas Peiter nun wollte Beuys provozieren und lief durch die Ausstellung mit zwei selbst beschriebenen Tafeln. Auf denen war das Versprechen von Beuys zu lesen, er würde Baader und Meinhof persönlich durch die documenta führen. Obwohl allein diese Vorgeschichte die Arbeit von Beuys verständlich macht, in die die beiden Tafeln einbezogen wurden, gingen viele Veröffentlichungen darüber hinweg, dass Peiter die Vorlagen geliefert hatte. Erst in jüngsten Publikationen wird der Zusammenhang hergestellt.

Dementsprechend hätte das Gericht Beatrix Sassen auch gar nicht ein Mitwirkungsrecht zugestehen können. Trotz ihrer Niederlage sollte die Künstlerin aber den Anspruch haben, als Zuarbeiterin genannt zu werden. Das Gerichtsverfahren könnte ihr den Weg dahin geebnet haben, ohne dass sie nun gleichberechtigt an die Seite von Beuys gestellt wird.

HNA 22. 10. 2003

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