Es war langfristig keineswegs so geplant, fügt sich nun aber gut zusammen: Während der Kasseler Kunstverein seit gestern unter dem Titel La petite Parade einen Querschnitt durch die Kunst, der Moderne seit Kriegsende präsentiert, ist ab Sonntag in der Orangerie Kassel eine Schau der aktuellen Moderne zu sehen. Eine direkte Verknüpfung stellen Andy Warhol und Robert Rauschenberg her, die in beiden Ausstellungen mit je einer Arbeit vertreten sind.
Von Warhol stammt auch das Leit-Bild der Orangerie-Ausstellung (Titel: 7 000 Eichen): Ein Doppelporträt von Joseph Beuys, das bei aller fotomechanischen Vordergründigkeit einen sehr starken malerischen Charakter hat und zugleich ein unvergleichlich treffendes Bild des Düsseldorfer Aktionskünstlers vermittelt. Es ist das Leit-Bild, weil die ganze Ausstellung Joseph Beuys und seinem Kasseler Pflanzungsprojekt 7 000 Eichen gewidmet ist. 34 internationale Künstler, zum großen Teil auch in der documenta vorgestellt, stifteten auf Initiative des Berliner Publizisten Heiner Bastian je ein Werk, um den Verkaufserlös dem Fortgang der Pflanzaktion zugute kommen zu lassen.
Es mag mancherlei Einwände gegen diese Ausstellung geben: Nicht jeder der 34 Künstler stiftete gerade eines seiner besten Werke, und auch die Namensliste der Künstler scheint auf ein sehr zeitbedingtes Sammelkonzept zuzulaufen. Und doch ist diese Schau das Ergebnis einer einmaligen Solidaritäts-Aktion von Künstlern für ein einzelnes Kunstprojekt. Daß dabei die auf dem Markt erfolgreichen Künstler den Ton angeben, ist unausgesprochene Voraussetzung des Konzepts – anders ließe sich ein Verkaufserlös von etwa 1,3 Millionen Mark kaum erreichen.
Ursprünglich sollte die Ausstellung nur in Tübingen und Bielefeld gezeigt werden. Doch nach hartnäckigen Verhandlungen gelang es, sie auch in die Stadt zu holen, zu deren Gunsten sie inszeniert wurde. In Kassel wird auch eines der 34 Werke auf Dauer bleiben – das Beuys-Porträt von Warhol. Den Großteil hat der Berliner Sammler Marx erworben. Ein bleibendes Denkmal ist der Katalog, den Heiner Bastian zu einem eigenen Kunstwerk werden ließ.
Auch hier drängt sich, wie in der Szene seit fünf Jahren, die Malerei in den Vordergrund. Selbst Jannis Kounellis ist mit einer rätselhaft-malerischen Arbeit vertreten. Die schönsten Beiträge zur Malerei kommen von Martin Disler, von dem eine sehr zarte, tiefgestaffelte Komposition zu sehen ist, und von den Italienern Mimmo Paladino, Francesco Clemente und Sandro Chia. Chia schickte zwar eine Bronze-Skulptur (Nachdenkender Mann), doch diese ist derart intensiv bemalt, daß es mehr ist als eine Plastik.
Der Italiener Mario Merz ist einer der wenigen, die unmittelbar für diese Solidaritäts-Aktion ein Werk schufen – ein Wachskeil ruht auf einem ornamental
übermalten V. In dieser Arbeit werden unmittelbare Beziehungen zum Werk von Beuys sichtbar, der nicht so unbedingt auf die Kraft der kunstvoll gestalteten Form setzt, sondern der in den Stoffen selbst die Träger von Botschaften sieht. Beuys hat übrigens auch eine Arbeit gestiftet: eine Leinwand, auf die Schnittmuster eines Anzuges geklebt sind, Versatzstücke für menschliche Körperteile. Das Bild trägt den Namen des ägyptischen Fruchtbarkeits- und Totengottes Osiris.
Eine lebendige und in sich spannungsgeladene Übersicht über die internationale aktuelle Szene, die dokumentiert, für wie wichtig Beuys Kasseler Projekt außerhalb der documenta-Stadt angesehen wird.
HNA 26. 8. 1985