Die Kunst zum Leben geöffnet

Diewohl beste deutsche Ausstellung des vorigen Jahres zeigte die Frankfurter Kunsthalle Schirn, als sie Arbeiten von Auguste Rodin (1840-1917) und Joseph Beuys (1921-1986) gegenüberstellte. Vor allem in den Aquarellen der beiden Künstler wurde eine unglaubliche Seelenverwandtschaft deutlich.
Nun lag allerdings auch der Verdacht nahe, mit Hilfe von Ausstellungen wie dieser solle der experimentelle Künstler auf den traditionellen Boden zurückgeholt werden. Doch dieser Verdacht war unbegründet, denn bereits in den frühen Bildern und Objekten deutete sich das völlig neue Kunst- und Materialverständnis von Beuys an. Genau dieses neue Verständnis macht für viele Menschen das Werk von Beuys so schwer zugänglich.

Und so wurde er als der große Unverstandene umstritten und populär. Es ist die Direktheit seiner Sprache, die so überrascht. Wenn er Filzplatten stapelte, dann dachte er an Schutzpolster und Wärmespeicher. Und wenn er Fett und Honig einsetzte, wollte er Energie und den Herznahrung sichtbar machen. Auf diese Weise wurde Beuys zu einem der Pioniere, die die Materialien selbst sprechen ließen und dafür nicht unbedingt eine kunstvolle Form entwickeln mussten.

Dabei dachte der in Krefeld geborene Beuys, der bei Ewald Mataré in Düsseldorf Bildhauerei studierte, über den engen Bereich der Kunst hinaus. Am besten sichtbar wurde das 1977, als Beuys zur documenta seine „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ installierte. Der durch das ganze Fridericianum Schlauch kreisende Honig symbolisierte nicht nur den Nahrungskreislauf, sondern auch den Austausch der Gedanken und Energien in den Diskussionen, die 100 Tage lang unter der Honig- pumpe stattfanden.

Beuys, der heute vor 20 Jahren starb, hat bis zuletzt auf die Kraft der Kunst vertraut. Doch wenn er von
Kunst sprach, meinte er eine umfassende Kreativität, die über die Museen und Galerien hinaus in die Gesellschaft wirkte. Den klarsten Ausdruck gewann dieses Denken in seiner 1982 zur documenta gestarteten Aktion „7000 Eichen“, in der er in Kassel 7000 Bäume und begleitend je eine Basaltsäule setzen ließ. Erst allmählich wurde das monumentale Werk, das die Stadt nachhaltig verändert, verstanden.

Beuys hat die Kunst zum Leben geöffnet. Alles, was er in seinen bleibenden Werken sowie in seinen Aktionen der 70er- und 80er- Jahre tat, verwies auf einen existenziellen Grund. Selbst der Filzhut, den er ständig trug und der zu seinem Markenzeichen wurde, hatte damit zu tun. Er hatte das tiefe Bedürfnis seinen Kopf zu schützen, nachdem er bei einem Absturz als Sturzkampfflieger 1943 lebensgefährlich verletzt worden war und ihm eine Silberplatte im Schädel eingesetzt werden musste.

HNA 23. 1. 2006

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