Beuys und seine Väter

Neue Blicke

Der franzosische Bildhauer Auguste Rodin und sein um eine Generation jungerer deutscher Kollege Wilhelm Lehinbruck gehören zu den großen Gestalten der Kunstgeschichte. Beider Werk wird in Museen gewürdigt, die ausschließlich ihnen gewidmet sind.

Gleichwohl überrascht es, wenn ohne den Anlass eines runden Geburtstages oder Todestages das Werk der beiden gleichzeitig an verschiedenen Orten umfassend gewürdigt wird. Reiner Zufall? Die Experten können sich das auch nicht erklären. Sie glauben, das Thema liege einfach in der Luft.

Immerhin hat die heutige Duisburger „Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum“ einen Grund zur Jubelfeier: Vor 100 Jahren erging der Bürgeraufruf zur Gründung eines Museums.

Nun gibt es gleich mehrere Orte, an denen das Schaffen von Rodin und Lehmbruck zueinander in Beziehung gesetzt wird. Die für die Entfaltung der modernen Skulptur sicherlich wichtigsten Ausstellungen werden vom 25. September an in Duisburg gezeigt. Doch den gewagtesten Versuch unternimmt die Frankfurter Schirn mit der Gegenüberstellung von Rodin, Lehmbruck und Beuys. Die Linie von Lehmbruck zu Beuys ist aber auch in der Kasseler Schau zum documenta-Jubiläum zu ziehen.

Beuys und seine Väter

Auf den ersten Blick klingt die These gewagt. Doch wenn man sich auf die Ausstellung eingelassen und in den Katalog vertieft hat dann eröffnen sich derart spannende neue Perspektiven und Zusammenhänge, dass man der „Das Frankfurter Kunsthalle Schirn zu dem Versuch, Auguste Rodin und Joseph Beuys
in einer Ausstellung zu konfrontieren, nur gratulieren kann. Das könnte die wichtigste Ausstellung des Jahres sein. Weil die tragenden Säulen der Ausstellung Zeichnungen besser gesagt: Aquarelle, sind, hat die Schau Kabinettcharakter.

Davon profitieren die Arbeiten, die man in Ruhe studieren muss, Dabei wird den Besuchern keine Blickrichtung aufgezwungen, denn die Werke von Auguste Rodin (1840-1917) und Joseph Beuys (l92l-1986) werden jeweils auf gegenüberliegenden Wänden im Zusammenhang gezeigt. So kann man selbst bestimmen, wann man den Zeitsprung wagen und vergleichen will.

Die Vergleiche allerdings frappieren. Dank der weiblichen Körperstudien des späten Rodin und der Frauenbilder des frühen Beuys erkennt man, dass sie Künstler eines Geistes waren. Immer sieht man Körper in Bewegung. Obwohl die Figuren nur angedeutet und hingehaucht sind, treten sie ausdrucksstark und dynamisch hervor. Auch die Vorliebe für torsohafte Figuren verbindet beide. Und schließlich überrascht jedesmal wieder, wie Rodin und Beuys in der so leicht hingeworfenen Aquarellzeichnung bereits eine Vorstellung von ihrem plastischen Wollen vermitteln.

Die Idee zu der Gegenüberstellung hatte die Gastkuratorin Pamela Kort. Aus ihrer Sicht hat Beuys selbst den Anstoß zu dieser Blickrichtung gegeben. Pamela Kort bezieht sich dabei auf die denkwürdige Rede, die Beuys 1986 wenige Tage vor seinem Tod in Duisburg als Dank für die Auszeichnung mit dem Lehmbruck-Preis gehalten hat. In dieser Rede bekannte er sich zu dem Bildhauer Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) als seinem Anreger und Lehrmeister. Durch die Begegnung mit einer Abbildung eines Torsos von Lehmbruck sei er überhaupt zur Kunst und Skulptur gekommen. In eben dieser Rede sprach er auch jenen Satz, der die Verbindung zu Lehmbruck und Rodin herstellt: „Er (Lehmbruck) treibt die Tradition, die in dem Erleben des Räumlichen am menschlichen Körper … besteht, … auf einen Höhepunkt, der einen Rodin noch übertrifft.“

Nun könnte man schnell unterstellen die Frankfurter Ausstellung wolle den Künstler Beuys, der durch seine Aktionen und in den gesellschaftlichen
Raum verweisenden Skulpturen wegweisend wurde, in den klassischen Kunst-Kanon zurückholen und ihm damit seine Außerordentlichkeit nehmen. Doch diesem Verdacht wird schnell der Boden entzogen.

Denn seine frühen Werke zeigen, wie stark der junge Künstler über das Formale hinaus ins Geistige dachte und die Grenzen der traditionellen Plastik
sprengte. Außerdem wird die Ausstellung vom Ende her gedacht – von dem Zeitpunkt, an dem Beuys im Wissen um seine radikale Erweiterung des Kunstbegriffs sich seiner Wurzeln besann, um Bilanz zu ziehen. Zudem spricht gegen eine falsche Vereinnahme von Beuys die Tatsache, dass im Schlussteil auch sein Spätwerk (Das Ende des 20. Jahrhunderts“, 1983) in den Blick kommt.

Die Ausstellung erdet nicht nur Beuys’ Werk in der klassischen Formensprache, sondern sie führt auch Rodin als einen Künstler vor, der mit revolutionärer Kraft die Fesseln der Tradition gelöst und der Skulptur der Moderne den Weg geebnet hat. Drei Elemente gehören dazu: Rodin setzte auf die dramatische, übersteigerte Bewegung. Es scheint, als wäre alles in Aufruhr geraten Gleichzeitig löste er sich von der Vorstellung, die Oberfläche einer menschlichen Gestalt müsse geglättet und poliert werden. Seine Skulpturen gewannen dadurch etwas Dynamisches, Widerborstiges und Unfertiges. Außerdem führte Rodin den Torso als gewollte Form in die Sprache der Skulptur ein.

Wilhelm Lehmbruck, der sich sowohl von Rodin wie von Maillol beeinflussen ließ, mäßigte und verinnerlichte die Bewegung, die Rodin so stark herausgearbeitet hatte, und er übernahm den Torso als Prinzip. Und der Lehmbrucksche Torso war es, der Beuys auf den Weg zur Kunst brachte. Deshalb ist in der Frankfurter Ausstellung „Rodin Beuys“ das Werk von Lehmbruck das Bindeglied. Lehmbrucks Zeichnungen und Plastiken beanspruchen zwar nur einen kleinen Teil der Ausstellung, ohne sie fehlte aber die entscheidende Klammer.

Im Zentrum der Lehmbruck-Schau steht die legendäre Schöpfung ‚Die Kniende“ von 1911. Diese so stark verinnerlichte Figur, die mitten in einer Bewegung
festgehalten ist, gilt als Schlüsselwerk der deutschen Moderne. Sie ist expressionistisch uberdehnt und füllt den Raum, weil sie von jeder Seite aus anders wirkt. Eben deshalb ist die „Kniende“ auch in der Kasseler Ausstellung „50 Jahre documenta‘ zu sehen. Denn nachdem die „Kniende“ und andere Lehmbruck-Werke von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfehmt worden war, erhielt sie in der ersten documenta von 1955 einen Ehrenplatz.

Insgesamt gibt es zehn Stein-, Gips- und Bronzegüsse von der Skulptur. Eine von wird auch in Duisburg ausgestellt, wenn ab dem 25. September das Lehmbruck-Museum sich und seinen Namenspatron feiert und in mehreren Ausstellungen das Menschenbild in der Skulptur und das Verhältnis von Lehmbruck zu Rodin und Maillol untersucht.

HNA 17. 9. 2005

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