Aus dem Denken Bilder entwickeln

Die dritte internationale Tagung zur Aufarbeitung des Wirkens von Joseph Beuys (1921 – 1986) findet bis Sonntag in Kassel statt. Im Zentrum steht die Wechselwirkung von Bild und Denken.

Am Anfang stand eine verblüffende Erinnerung: Joseph Beuys, so stellte Tagungsleiter Volker Harlan (Witten-Herdecke) fest, war immer positiv eingestellt. Ein Scheitern schloß er aus. Nur aus dieser Grundhaltung sei rückschauend das unbeirrte Vorgehen des Künstlers Beuys zu verstehen.

Noch ein anderes wurde in der Kasseler Tagung schnell klar: Wir stehen erst am Anfang der Aufarbeitung von Beuys‘ Wirken und Denken. Vor allem müssen diejenigen lernen, die sich mit seinem zeichnerischen und plastischen Werk auseinandersetzen, daß das, was Beuys dazu gesagt und geschrieben hat, nicht bloße Kommentare sind, die das Verständnis erleichtern, sondern Teile der Arbeit selbst. Die Eröffnungsvorträge von Johannes Stüttgen (Düsseldorf), Dieter Koepplin (Basel) und Rhea Thönges-Stringaris (Kassel) zielten direkt und indirekt immer wieder auf die eine Erkenntnis ab: Das Denken, Sprechen und Diskutieren pflegte Beuys, um Klarheit und Begriffe zu finden und daraus wiederum Bilder zu entwickeln. Die Plastik konnte nach Koepplin ein Produkt des Denkens sein, aber auch Mittel zum Zweck, um weiteres Denken zu befördern.

So macht die Aufarbeitung des Beuysschen Werkes einsichtig, daß die Idee des Künstlers, zweimal die documenta (1972 und 1977) als Forum für intensive Gespräche und Diskussionen über Kunst, Politik und andere gesellschaftliche Fragen zu nutzen, nicht spektakuläre Exkurse waren. Vielmehr handelte es sich um notwendige Schritte bei dem Bemühen, ein neues Verständnis vom Menschen und von Plastik zu entwickeln. So utopisch 1972 die Vorstellung von einer direkten Demokratie durch Volksabstimmung erschien, so unablöslich gehörten und gehören die damals verhandelten Ideen und Begriffe zu seinem Gesamtwerk. Zehn Jahre später war Beuys dann soweit, seine Vorstellung von einer gesellschaftlich wirksamen Kunst urnzusetzen: Zur documenta 7 begann er seine Aktion „7000 Eichen“, die langfristig nicht nur das Stadtbild von Kassel, sondern auch den Kunstbegriff verändert hat.

Johannes Stüttgen, langjähriger und engster Mitarbeiter von Beuys, äußerte allerdings die Befürchtung, daß der erweiterte Kunstbegriff im Hinblick auf die „7000 Eichen“ noch nicht verstanden oder akzeptiert sei. Noch werde diese „unsichtbare Skulptur“ von dem konventionellen, aus der documenta abgeleiteten Kunstbegriff umfangen. Wenn der aber eines Tages seine Wirksamkeit verliere, blieben vielleicht nur die Bäume und Basaltblöcke übrig, nicht aber eine verbindende Kunstidee. So müßten sich die Menschen, die sich in dem Gebiet der „7000 Eichen“ bewegen, aus der direkten Erfahrung der Skulptur um einen neuen, wirklich erweiterten Kunstbegriff bemühen.

Die Tagung im Anthroposophischen Zentrum in Kassel will keineswegs den Blick vom bildhaften Werk abbringen. Sie lädt vielmehr geradezu zur intensiven Bildbetrachtung ein. Sie macht aber verständlich, daß die Worte von Beuys genauso wichtig sind. Sie sind untrennbar mit dem Werk verknüpft.

HNA 26. 9. 1998

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