Es war Sommer 1972. In Kassel lief die documenta 5. Und das politische Klima war bestimmt durch eine sich steigernde Hysterie; Ulrike Meinhof und Andreas Baader wurden als die Köpfe einer Terrorgruppe gesucht, die erst als Baader-Meinhof-Gruppe, später als Rote Armee Fraktion Schlagzeilen machte.
In diesem Sommer hatte Joseph Beuys darauf verzichtet, in der documenta eine Arbeit zu zeigen. Vielmehr saß er die 100 Tage lang in seinem Büro für direkte Volksabstimmung im Fridericianum, um mit den Besuchern zu diskutieren. In der Ausstellung 50 Jahre documenta ist dieser Raum andeutungsweise rekonstruiert. Regelmäßiger Gesprächspartner von Beuys war der Interaktionskünstler Thomas Peiter. Er nannte sich (Albrecht) Dürer. Zu ihm sagte Beuys eines Tages:
Dürer, ich führe persönlich Baader und Meinhof über die documenta 5, dann sind sie resozialisiert.
Peiter malte in unbeholfener Schrift den Satz auf zwei gelbe Tafeln und zog damit provokativ durch die Ausstellung. Das war fast ein Skandal. Wie sich Peiter
heute erinnert, fand Beuys die Idee toll. Denn Beuys, so Peiter, glaubte, er könne Baader und Meinhof in die Gesellschaft zurückholen. Am Ende der documenta nahm der Grafiker Klaus Staeck die Schilder in Verwahrung. Nach Anweisung von Beuys fertigte Staeck daraus ein zweiteiliges Objekt: Er nahm zwei mit Margarine gefüllte Filzpantoffeln, in die vertrocknete Stiele von Rosen gesteckt wurden, die Beuys in seinem Büro auf dem
Tisch gehabt hatte, und verband die Filz -Pantoffeln mit den Holzstangen der Peiter-Platten. Das Objekt fand schnell Käufer. Als Peiter von der erfolgreichen Vermarktung erfuhr, wollte er einen Anteil haben. Beuys räumte ihm das Recht ein, zehn weitere Fassungen herzustellen. Eine dieser Nachschöpfungen ist in 50 Jahre documenta zu sehen. Die Holzschilder stehen nicht in Filzpantoffeln, sondern in hochhackigen Damenschuhen.
HNA 17. 9. 2006