Wenn Kunst Wachstum ermöglicht

Vor 15 Jahren startete Joseph Beuys anläßlich der documenta 7 seine Aktion „7000 Eichen“. Eine Ausstellung dokumentiert ab heute die Pflanzaktion
und den Umgang mit den Bäumen und Steinen.

Vorstellen konnten sich die Sache mit den 7000 Bäumen am Anfang nur wenige. Aber von dem Aktionskünstler Joseph Beuys (1921 – 1986) war man ja viel gewöhnt. Solange er mit seinen plastischen Arbeiten in der documenta vertreten gewesen war, hatte ihn die breitere Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Erst als er 1972 und 1977 die Kasseler Kunstschau nutzte, um mit Besuchern über seine künstlerischen und politischen Ideen zu diskutieren, da wurde der Mann mit dem Filzhut zum Blickfang und Medienstar.

Nun schrieb man das Jahr 1982. Der Holländer Rudi Fuchs hatte für seine documenta zum Rückzug ins Museum geblasen. Der Friedrichsplatz sollte leer bleiben. Er blieb auch weitgehend leer, doch dann kam Beuys mit seinen Steinen und wurde für Teile der Bevölkerung erst einmal zum Ärgernis.

Die Mißverständnisse waren vielfältiger Natur. Die erste und simpelste Frage lautete: Was hat das Pflanzen von Bäumen mit Kunst zu tun? Wer damit die Aktion nicht nur abtun wollte, sondern ernsthaft nachfragte, wurde unweigerlich zur Natur des Beuysschen Wirkens hingeführt.

So wie die documenta X für ein ganzheitliches Sehen und Denken plädiert, so war es für Beuys nicht denkbar, die Kunst als eine reine ästhetische Form zu isolieren. Kunst war für ihn immer ein Teil des Lebensvollzuges. Er hatte die Stoffe des Lebens für die Kunst als Quellen neu entdeckt: Filz als wärmender Schutz, Blei als Isolator, Kupfer als Energieleiter, Fett und Honig als Energiespender und Symbole der Transformation. Um den Ideen bildnerisch Ausdruck zu verleihen, so war seine Erkenntnis, konnte man Vorstellungen direkt in diese Materialien übertragen. Also steht der Baum für Wachstum und Leben und der Stein für Kunst und Tod. Der Stein ist aber auch, wie Rhea Thönges-Stringaris bemerkt, Beschützer und Wärmespeicher des Baumes.

Beuys dachte und arbeitete sehr komplex, weil er die Einzelarbeit immer als einen Teil eines großen Ganzen ansah, mit dem er in die Welt und Gesellschaft hineinwirken wollte. Lange Zeit war der Kunst-Öffentlichkeit nicht klar, was Beuys mit seinem „erweiterten Kunstbegriff“ meinte und was er sich unter einer „sozialen Plastik“ vorstellte. Als er aber ab 1982 seine Aktion „7000 Eichen“ in Kassel verwirklichte, verdinglichten sich die Begriffe.

Joseph Beuys war nicht der erste Künstler, der sich der bedrohten und vernachlässigten Bäume annahm. Aber er war der erste, der versuchte, daraus eine Skulptur zu formen. Dabei entwickelte sich die Skulptur in vier Stufen: Anfangs war sie nur eine Idee, die die normalen Vorstellungen zu sprengen schien. Dann verfestigte sie ich zur klaren Form, als zur documenta 7 der erste Baum auf dem Kasseler Friedrichsplatz stand und sich neben ihm der keilförmige Haufen mit den knapp 7000 Steinen erstreckte. Danach aber verflüssigte sich die konkrete Skulptur auf dem Friedrichsplatz; wie bei einer Sanduhr war an dem Steilkeil der Fortschritt der Pflanzaktion abzulesen – er schrumpfte, während im gesamten Stadtgebiet Baum für Baum und Stein für Stein gesetzt wurden. Und schließlich war 1987, ein Jahr nach Beuys‘ Tod, die Skulptur vollendet. Sie war zu einem Teil der Stadt geworden.

Bäume zu pflanzen, war prinzipiell immer populär. Aber Bäume dorthin zu bringen, wo sie unerwünscht sind oder (aus der Sicht der Verkehrsplanung) als Hindernisse empfunden werden, war nie beliebt. Doch genau dieses Ziel hatte Beuys im Sinn, als er sein Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ aüsgab: den Baum und das Leben dort zu ermöglichen, wo man es nicht vermutet hatte – an Hauptverkehrsstraßen, Hinterhöfen und in steinernen Wüsten. Es gab oftmals lange und zähe Verhandlungen und schließlich eine alles in allem eine gute Kooperation mit der Stadt.

Als zum documenta-Auftakt die Skulptur „7000 Eichen“ beendet war, schien alles gut. Doch die Freunde von Beuys und Anwälte der Bäume sind anderer Meinung. Nachdrücklich fordern sie, die Bäume müßten, um ihren, Bestand zu sichern, systematisch „erzogen“ und gepflegt werden. Ein mit Hilfe der Hessischen Kulturstiftung erstelltes Gutachten förderte im vorigen Jahr erhebliche Mängel zutage: 269 der ursprünglich 7003 Bäume waren verschwunden – verkümmert,
zerstört oder wegen Baumaßnahmen entfernt. Außerdem fehlten 324 Steine. Um die Bäume und Steine zu ersetzen, müßten rund 500 000 Mark aufgewandt werden.

Den noch größeren Mangel entdeckte das Gutachten bei der „Baumerziehung“: Um den Bäumen im städtischen Raum (an Straßen) das Überleben zu sichern müßten in den ersten Jahren regelmäßig unten die Äste abgeschnitten werden, damit die Stämme hochwachsen und die Kronen kräftig werden können. Lasse man im unteren Bereich das Wachstum der Äste zu, dünnten die Kronen aus und würden die Aste in absehbarer Zeit zu kostenträchtigen Hindernissen. Zwei Millionen Mark, so meint das Gutachten, müßten aufgebracht werden, um die versäumte Pflege nach zuholen.

Eine Foto-Ausstellung dokumentiert ab heute Abend die die Pflanzaktion und auch den Zustand der Beuys-Skulptur – mit ihren Stärken und Schwächen. Am 4. und 5. Juli soll in einem Symposium zur Ausstellung (im Hessischen Landesmuseum) außerdem über die Bedeutung – und Zukunft der Skulptur gesprochen werden.

HNA 27. 6. 1997

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