Befragung der documenta

Offensichtlich gehört es immer noch zu einer Forumsdiskussion, daß man eine Zeitlang über sie selbst diskutiert. Die Veranstaltung mag ausgehen, wie sie will, doch der formalistisch-kritische Streit über das rechte Diskutieren geht aus wie das Homburger Schießen. So war es auch am Samstagabend, als im mehr als überfüllten Gemeindesaal der Lutherkirche auf Einladung des CVJM über die Frage „Quo vadis documenta 5?“ gesprochen wurde.

Die Aussprache unter der sachkundigen Leitung des Kritikers Orzechowski mußte schon deshalb ergiebig werden, weil hier die entscheidenden documenta-Planer wie Generalsekretär Szeemann, Prof. Bode, Prof. Brock und deren kämpferisch-politischer Kritiker Staek Rede und Antwort standen.

Die Diskussion brachte manche Vorwurfe und Rechtfertigungen, die schon seit einien Wochen die Runde machen: die Eintritts- und Katalog-Preise beispielsweise, die viele für zu hoch halten, die von der documenta aber mit Hinweis auf die Notwendigkeit, 1,7 Millionen DM hereinzuholen, begründet werden. Ebenso regelmäßig taucht der Vorwurf auf, die Konzeption und damit das didaktische Ziel der documenta würden in der Ausstellung nicht ‚sichtbar. Auch darauf die fast immer gleiche Antwort daß einmal das Geld nicht gereicht habe für eine allumfassende Besucherschule und daß andererseits immerhin das Audiovisuelle Vorwort zui Einführung zur Verfügung stehe.

Im Gegensatz zu Prof. Bode waren Szeemann und Prof. Brock der Meinung, daß die documenta 5 als thematische Ausstellung völlig anders sei als ihre Vorgängerinnen. Für Szeemann ging es nicht nur darum, einfach eine weitere documenta zu machen, sondern auch zu zeigen, daß man mal wieder eine Ausstellung zustandebringt, die „funktioniert“. Das Ziel der documenta 5 brachte er dabei in eine einfache Formel, die sozusagen als Minimal-Forderung zu verstehen ist: „Jeder Besucher wird gezwungen, in jedem Saal seine Distanz zum Ausgestellten neu zu regulieren.“

Die wohl detaillierteste Kritik entzündete sich an den documenta-Abteilungen „Fotografischer Realismus“ und „Individuelle Mythologien“. Die Kunstäußerungen wurden zum Teil als romantischer und reaktionärer Rückzug gewertet. Szeemann und Brock verteidigten diese Auswahl mit Blick auf die Wichtigkeit dieser neuen Richtungen und mit Hinweisen auf die „Pufferzone der Irrationalität“ und die Autonomie der Kunst.

Ein Fehler der Veranstaltungsplanung war das zu große Podium, das nicht alle gleichermaßen zu Wort kommen ließ. Ein Erlebnis der Diskussion war dagegen Prof, Brock, der sich mit geschliffenen Gedanken und Worten zum vehementen Verteidiger der documenta machte und dabei jederzeit mit theoretischen Bemerkungen Szeemann aushalf. Er war ein Erlebnis, auch wenn er ab und zu arrogant wirkte. Er war der Star.

HNA 10. 7. 1972

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