Ein erster Abschied

Morgen abend endet die documenta 6 — Schneckenburger zufrieden

Morgen endet die documenta 6 in Kassel. Sie wird als „Mediendocumenta“ in die Geschichte eingehen. Und sie wird mit neuen Rekordzahlen aufwarten. In den 100 Tagen wurden rund 350 000 Besucher gezählt. Das sind die Besucher, die Eintrittskarten für die beiden Hauptausstellungsplätze Museum Fridericianum und Orangerie lösten. Ungezählt blieben die vielen Tausende, die vor allem in der Karlsaue die Freiplastiken sahen.

Die Bilanz wird noch im einzelnen zu ziehen sein. Schon jetzt ist aber beschlossene Sache, daß die nächste documenta nicht 1981 zusammen mit der Bundesgartenschau in Kassel stattfinden wird, sondern ein Jahr später. Der Aufsichtsrat der documenta entschloß sich zu dieser Verschiebung in der Annahme, daß zwei Großereignisse am gleichen Ort und zur gleichen Zeit einander eher überschatten als bestärken würden

Auch die documenta 6 hätte ursprünglich ein Jahr früher nämlich 1976, stattfinden sollen. Die Verlegung ergab sich aus organisatorischen Schwierigkeiten. Festzustehen scheint, daß der künstlerische Leiter der documenta 6, Dr. Manfred Schnekkenburger, für die nächste documenta in dieser Position nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Als mögliches Thema für 1982 tauchen am fernen Horizont wieder einmal Städtebau und Umwelt auf. Die Erfahrung jedoch lehrt, dass nach dem Ende einer documenta sich erst einmal große Stille ausbreitet. L. 0.

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Die Gesamtauflage ces documenta-Kataloges (30 000 Exemplare) war am Freitag vergriffen. Bei genügender Nachfrage plant der Verlag D+V Druck und Verlag, Kassel, eine weitere Auflage. Für Bestellungen, die bis Sonntagabend eingehen, gilt dann noch der Ausstellungspreis von 75 DM.
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So wie die Eröffnung der documenta 6 formlos geschah, so soll auch das Ende nicht durch offizielle Auftritte aus dem 100- Tage-Geschehen herausgehoben werden. Dennoch wollen die Offiziellen von der documenta-Leitung, der Stadt und die in Kassel weilenden documenta-Künstier dabei sein, wenn morgen abend um 20 Uhr die Tore geschlossen werden.

Eine Abschluß- und Abschiedsdiskussion unter dem Titel ‚Daß die denkenden Köpfe sich nicht beugen“ wird es in der Freien Internationalen
Hodischule am Sonntag um 16 Uhr geben. Zu den Diskutanten gehören Joseph Beuys, Rudolf zur Lippe, Johannes Seiffert, Christine v. Weizsäcker und Manfred Wilke. Ferner plant für Sonntagmorgen Gerhold Rebholz im Fridericianuni die Vorstellung seines „Quadrots“ (aus Quadrat und rot).

Der große Besucheransturm wird von der Ausstellungsleitung als ein Zeichen des Erfolgs gewertet. Manfred Schneckenburger , künstlerischer Leiter der documenta 6, ist mit dem Verlauf der Ausstellung zufrieden. „Erstaunlich vor allem ist, daß mit der Kunst der 70er Jahre es möglich war, die bisher vitalste documenta zu machen“, sagte er. Es sei vor allem gelungen, den Ausstellungszusammenhang mit Hilfe des Fernsehens (Videobeiträge) und der Landschaftsskulpturen zu durchbrechen.

Schneckenburger gibt zu, daß im Bereich der Vermittlung manches hätte intensiviert werden können. Auch sonst sei einiges verbesserungswürdig gewesen – wie auf allen großen Ausstellungen. Doch an den Grundlinien würde er – auch im Rückblick – nichts ändern wollen.

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Die letzten beiden documenta-Tage 1977 sind angebrochen. Wir nehmen mit den Fotos, die gestern entstanden, schon ein wenig Abschied. Die Bilder sind keinesfalls voller Wehmut. Sie zeigen eher, wie munter einige Besucher die Ausstellung und einige ihrer Objekte in Beschlag genommen haben. D.S.

HNA 1. 10. 1977

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