Verteidigung der documenta 6

Zu einer Podiumsdiskussion des „documenta forums“ im Kunstverein

Es hatte eine große und fast grundsätzliche documenta-Diskussion werden sollen. Doch gleich mehrere der prominenten Kunst-Experten hatten den Weg nach Kassel nicht antreten wollen oder nicht gefunden. Das Chaos verbreitende Glatteis hatte ein Übriges getan, das Podium zu schmälern. Auf diese Weise entstand die Situation, daß eine Diskussionsrunde, deren Zusammensetzung unter anderen Vöraussetzungen als respektabel empfunden worden wäre, angesichts der enttäuschten Erwartungen nun von vielen als wenig attraktiv eingestuft wurde.

Das documenta forum, das mit dieser Veranstaltung im Kasseler Kunstverein erstmals zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen hatte, stand nun vor der Frage, ob man ausfallen lassen und später neu einladen, oder mit Rücksicht auf die dennoch Erschienenen – die Zahl der Zuhörer war beachtlich – in der Rumpfbesetzung diskutieren solle. Die Meinungen waren geteilt, und so blieb man zusammen. Im Nachhinein aber hätte mancher, der die höfliche der ehrlichen Lösung vorgezogen hatte, gern seine Meinung revidiert.

Was erbrachte die Diskussion über „documenta 6 – Analyse und Perspektiven“, an der unter Leitung von Karl Oskar Blase die beiden documenta-Beteiligten Evelyn Weiss und Manfred Schneckenburger, der Leverkusener Museumsmann Rolf Wedewer und der Kunstkritiker Lothar Orzechowski teilnahmen? Sie wurde erst einmal zu einer Verteidigung der vorjährigen documenta durch die beiden Beteiligten. Vor allem Manfred Schneckenburger reagierte spontan und engagiert, wenn er hinter einer Formulierung einen Angriff gegen das Konzept oder die Künstierauswahl der documenta 6 witterte. Und als Lothar Orzechowski meinte, die documenta 5 (1972) habe weit eher als ihre Nachfolgerin den Nerv der künstlerischen Entwicklungstendenzen getroffen bzw. wachgerufen, da offenbarte Schneckenburger, daß für ihn der Vergleich der beiden letzten documenten allmählich zum Trauma werde.

Schneckenburger, der die documenta 6 .künstlerisch leitete, für die nächste aber nicht als Verantwortlicher zur Diskussion steht, wünschte, die documenta 7 (1982) solle eine Fülle aufregender Kunstwerke präsentieren und erst aus vollzogener Auswahl Konzept und Erklärungszusammenhänge ableiten. Eine hochinteressante Forderung zumal Schneckenburger bei der Planung seiner documenta trotz zahlreicher Warnungen konsequent den entgegen gesetzten Weg gegangen war,

Daneben gab es einige nützliche Bekenntnisse: (,‚Die docu.menta ist die wichtigste Ausstellung der Avantgarde“ — Weiss) und einige bedenkenswerte Erörterungen (etwa, ob die Zahl der einzuladenden Künstler drastisch eingeschränkt werden solle), doch ansonsten litt die Diskussion. Sie litt vor allem darunter, daß mit Rudi Fuchs und Tilman Osterwolt zwei der drei Kandidaten für die Leitung der documenta 7 (der dritte ist Harald Szeemann) nicht gekommen waren; sie litt an der daraus folgenden Lustlosigkeit, die insbesondere Rolf Wedewer nicht zu verbergen suchte; und sie litt an ihrem eigenen Gang – an dem schon wenig fruchtbaren Einstieg über eine Kritik der documenta-Kritik und an den mitunter abwegig-diffusen Fragestellungen.
HNA 11. 12. 1978

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