Das Vergängliche und das Zeitlose

Für viele war es eine Überraschung, dass Okwui Enwezor in der Documenta 11 die Fotoserie der Siegerländer Fachwerkhäuser von Bernd und Hilla Becher zeigte. Schließlich ist diese Position bekannt und schon wiederholt gewürdigt worden. Wenn allerdings eine Ausstellung wie die Documenta 11 vorführen will, wie sich die heutige Kunst mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, dann kommt man an den Bechers nicht vorbei – weil sie pionierhaft die Grundlagen für eine ganze Künstlergeneration schufen und weil sie durch ihre Arbeit immer wieder neue und wichtige Beiträge liefern.

Gute Schüler von bedeutenden Künstlern erkennt man nicht daran, dass sie wie ihre Lehrer arbeiten, sondern dass sie aus den übernommenen Grundanschauungen eigene Arbeitsweisen entwickeln. Candida Höfer, Thomas Ruff und Thomas Struth stehen stellvertretend für viele Schüler der Bechers, die es verstanden haben, aus dem Schatten ihrer Lehrer herauszutreten. Höfer, Ruff und Struth haben sich mit eigenen Bildern und Text-Zeugnissen an der Festschrift beteiligt, die Susanne Lange zu Ehren der Bechers herausgegeben hat. Anlass ist die Verleihung des Erasmuspreises an die beiden Fotografen. Das reich illustrierte Buch liefert eine gelungene Einführung in das Werk des Bechers, weil die unterschiedlichsten Autoren, die die beiden schon lange kennen kenntnis- und hilfreiche Hinweise und Kommentare zu den Fotoarbeiten geben.

Die Übergabe des Erasmuspreises vor wenigen Tagen in Amsterdam ist auch der Grund für eine Ausstellung der Bechers im dortigen Stedelijk Museum. Bernd
und Hilla Becher haben das Amsterdamer Gastspiel dazu genutzt, um einen bis jetzt noch nicht bekannten Aspekt in ihrem Werk vorzustellen. Hatte man bislang nur Bilder von Häusern und Industriebauten gesehen, die aus den landschaftlichen Zusammenhängen herausgelöst sind und damit wie anonyme Skulpturen wirken, zeigen sie nun Industrieanlagen in ihren landschaftlichen Zusammenhängen. Die Bilder der Ausstellung sind hervorragend in dem Bildband „ Industrielandschaften“ dokumentiert.

Bei manchen Fotos geht die grafisch-skulpturale Strenge verloren, dafür rücken andere Aspekte in den Vordergrund. Man spürt die Übermacht der Anlagen, die in Kontrast zu den kleinen Wohnhäusern stehen oder die sich in der Natur breit gemacht haben. Uberwiegt bei den anonymen Skulpturen das Zeitlose, gewinnen nun das Vergängliche und auch das Trostlose an Bedeutung. In diesen Ubersichtsaufnahmen geben die Bechers ein Stück ihrer neutralen, stimmungsarmen Haltung auf. Eben deshalb eine wichtige Begegnung.

HNA 25. 10. 2002

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