Kaiserring für plastische Bilder

Hilla und Bernd Becher erhalten für ihr in über 30 Jahren gewachsenes, gemeinsames Werk den Goslarer Kaiserring 1994. Damit ehrt die historische Harzstadt mit ihrem seit 1975 verliehenen Kunst- preis erstmals ein Künstlerpaar und erstmals das Medium Fotografie. Der Kaiserring wird – in Verbindung mit einer Ausstellung – am 15. Oktober in Goslar übergeben. Mehrfach seit 1972 waren die beiden Fotografen mit ihren Bildern auf der Kasseler documenta vertreten.
Die Bechers, die sich Ende der 50er Jahren beim Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie kennenlernten, sind eine Ausnahmeerscheinung in der internationalen Kunstszene. Mit unglaublicher Konsequenz setzen sie seit drei Jahrzehnten ihr einmal gefundenes fotografisches Konzept um. Sie sind als Konzeptkünstler zu verstehen, die wesentliche Impulse für die “ Kunst insgesamt gegeben haben. So konnte es passieren, daß sie 1990, als sie mit Werkgruppen im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig vertreten waren, den Goldenen Löwen für Skulptur erhielten.

In der Tat ist es Hilla und Bernd Becher immer wieder gelungen, die Fachwerkhäuser, Fördertürme, Gasbehälter und Kühltürme in Fotoserien so aufzunehmen, daß die Alttagsarchitekturen in den Fotografien plastische Gestalt entfalten konnten. Die Bechers knüpfen mit ihrer Arbeit an die Fotografie der Sachlichkeit an, wie sie sich in den 20er Jahren herausbildete. Aber sie gehen einen Schritt weiter. Sie nehmen die Bauwerke idealtypisch auf und lösen sie aus ihrem Zusammenhang heraus: Innerhalb einer Serie wählen sie für alle Objekte eine einheitliche Perspektive, meist einen solchen Standpunkt, von dem aus keine stürzenden Linien entstehen. Dann porträtieren sie die Objekte bevorzugt bei diffusen Wetterverhältnissen, so daß weder Sonneneinfall noch Wolken die Aufnahmen verändern können. Und schließlich zeigen sie die Bauten ohne belebende Elemente; der Mensch bleibt ausgespart.

Auf diese Weise werden die Fotoserien zu wirklichen Porträtreihen, zu Typologien im lexikalischen Sinne. Meist handelt es sich um Industrie-Denkmäler. Durch die Augen der Bechers sehen wir sie so, wie sie einst die Architekten gedacht und geplant hatten.

HNA 8. 1. 1994

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