In der gegenwärtigen, etwas aufgeregten Diskussion um die neue, leidenschaftliche Malerei wird häufig übersehen, daß jene weniger auffällige Malkunst, die sich innerhalb enger Grenzen bewegt und oftmals nur eine Farbe züm Thema hat, längst nicht das Ende ihrer Entwicklung erreicht hat.
Die docunienta 7 wird diese Unterschiedlichkeit der Haltungen und Stile nicht übersehen. Beispielsweise wird mit Robert Ryman eine der großen Figuren jener Malschüle vertreten sein, die sich der Bildgestaltung aus nur einer Farbe (Monochromie) widmen.
Während der 52jährige Amerikaner Ryman aber die eine Farbe (Weiß) benutzt, um gegensätzliche Malweisen vorzuführen, um Oberflächen und Bildwirkungen aufzubrechen und so in Konkurrenz zueinander zu bringen, will der 30jährige Horst Schuler das Gegenteil erreichen – einen Farbauftrag, der außer der reinen Färbe (meist Gelb, Blau oder Rot) keine Spuren hinterläßt.
Das aber ist gar nicht so einfach, wie es klingt: Horst Schuer trägt nämlich verdünnte Ölfarbe auf Seide auf; da die Seide die Farbe sofort einsaugt und sich sogleich Ränder bilden können, muß Schuler, hat er einmal begonnen die ganze Fläche blitzschnell einfärben; bei mitunter zwei mal zehn Meter großen Bildflächen keine Kleinigkeit. Die Seide wird über einen Holzrahmen gespannt und beidseitig gleichmäßig bemalt. Fünf bis sechs Farbschichten trägt Schuler auf, bis er jene Tönung erreicht hat, um die es ihm geht.
Schulers Arbeiten sind Gelegenheitsbilder – Farbe und Format sind ganz gezielt auf den Ort ihrer Aufhängung zugeschnitten, auf den konkreten Raum bezogen. Als zweites Element neben der Farbe nutzt nämlich Schuler die natürlichen Lichtquellen des Raumes für seine Werke: Eine Fensterfront oder eine Türöffnung überdeckt er mit einem maßgenauen, geometrisch strengen Farbsignal, das durch das eindringende Tageslicht zu einem leuchtenden Licht-Bild wird.
Das Werk des aus Nagold stammenden und in Düsseldorf lebenden Künstlers aktiviert geradezu das Fuchssche Könzept, die documenta 7, soweit es nur geht, zu einer Tageslicht-Ausstellung zu machen. Schulers Bilder werden sich dabei mit dem wechselnden Tageslicht ständig verändern. Sie leben wie die Glasbilder davon, daß sie in sich viele Wirkungsweisen bergen.
Da in den Augen von Horst Schuler jedes Bild einen Raum verändert, sieht er seine eigene Arbeit in der Tradition eingebettet. Doch da sich das Werk dieses Malers so direkt auf die Architektur des Raumes bezieht und diesen durch oftmals kontrastierende Farbsignale (blaurot oder gelb-blau) strukturiert, zielt es über die normale Bildqualität hinaus und reicht an die Grenzen plastischer Raumgestaltung heran.
HNA 13. 3. 1982