Kunst gegen die Spielregeln

Wahre Kunst müsse sich in der Dauer bewähren, lautet eine landläufige Meinung. Für viele zeitgenössische Künstler jedoch ist dies ein Vorurteil, gegen das sie sich mit ihrer Arbeit bewußt stellen; sie schaffen Bilder und Installationen, die die Ausstellung, für die sie gemacht wurden, nicht überdauern. Der in Paris lebende Franzose Daniel Buren (Jahrgang 1938) ist ihnen zuzurechnen: 95 Prozent dessen, was er produziert und inszeniert, ist an den Ort gebunden und nicht übertragbar.
Dabei erscheinen Burens Werkstücke gerade so leicht transportabel — fahnenartige Bildtücher mit rot-weißen, blau-weißen oder braun-weißen Streifen. Könnte man sie nicht überall aufhängen? Nein, denn dann wären diese Tücher eigenständige Bilder, die für sich selbst Bedeutung hätten. Buren jedoch betrachtet sie nur als Elemente, Bausteine oder Vokabeln, die allein gesehen nichts darstellen.

Seit 17 Jahren arbeitet er mit den Streifen als Ausdrucksmittel. Er läßt die Farben und Formate wechseln – ähnlich wie beim Alphabet der Zeichensprache. Neue Formen will er nicht erfinden, sondern die vertrauten nutzen, um das Eigentliche zu erreichen: auf Raumsituationen antworten. Das sieht beispielsweise so aus: In Krefeld stehen in direkter Nachbarschaft zwei von Mies van der Rohe erbaute Landhäuser (Haus Lange und Haus Esters), die sich ähneln, aber nicht gleichen. Beide Häuser werden heute als Ausstellungsräume für zeitgenössische Kunst genutzt. Daniel Buren nun, dem für die Zeit ab 16. Mai dort eine Ausstellungsmöglichkeit angeboten wurde, will mit seinen Ausdrucksmitteln den Grundriß des Hauses Lange auf das Nachbarhaus übertragen, so daß durch die Markierungsbilder das eine Haus in das andere eindringt, und die Entsprechungen, aber auch Unterschiede sichtbar werden.

Zur documenta 7 wird Buren einmal in den Innenräumen eine Arbeit ausführen; sein Hauptprojekt aber plant er für den Friedrichsplatz, den er mit seinen Flaggen markieren will. Für Buren ist dies die dritte documenta-Beteiligung. Obwohl er die Teilnahme für außerordentlich wichtig hält, sieht er sich in einer Distanz zu dem Charakter solcher großen internationalen Ausstellungen. Seine Skepsis dokumentierte er bereite in einem Text für den Katalog der documenta 5: Bei Ausstellungen dieser Art seien die Organisatoren die größten Künstler; der Rahmen würde zu dem eigentlichen Ereignis und die Ausstellungsobjekte zu Dekorationsstücken einer Idee.

Dieser zwangsläufigen Entwicklung will sich Buren widersetzen, indem er seine Beiträge in den Ausstellungen gezielt dekorativ gestaltet, um so die Spielregeln zu brechen. Mitunter führt das dazu, daß seine Arbeiten sich so sehr der Ausstellungsinszenierung anpassen, daß sie zu anonymen Raumzeichen werden. Burens Beitrag zur vorigen Biennale in Venedig war von dieser Art: Der Künstler hatte die Stuhle der Cafeteria zu den Trägern seines Streifen-Vokabulars werden lassen.

HNA 23. 4. 1982

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