Immer wieder ist man versucht, durch eine künstlerische Arbeit hindurch auf die vermeintliche eine Idee zu blicken, auf der sie basiert. So, als sei eben alles auf einen Nenner zu bringen. Kein Wunder, daß man dabei stets von neuem scheitert.
Der seit einigen Jahren in Wuppertal lebende und an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrende Engländer Tony Cragg (Jahrgang 1949) ist einer jener Künstler, die uns die einfachen Wege versperren. Er ist auf mehreren bedeutenden Ausstellungen, darunter auf der Biennale von Venedig (1980), mit Raumbildern hervorgetreten, die aus farbigen Kunststoffabfällen zusammengefügt worden waren. Doch er will weder als ein Abfall-Künstler verstanden werden noch als ein Maler auf Abwegen.
Einer der Ausgangspunkte für seine Arbeit ist die Auseinandersetzung mit den Materialien, mit denen wir leben. Er ist der Meinung, daß unsere Industrie viele Gegenstände produziere, zu deren Stofflichkeit wir längst jede Beziehung verloren hätten. Oftmals seien wir nur noch von
Material-Imitationen umgeben; außerdem hätten wir die Kontrolle über die Farben in unserer Umwelt verloren, weil wir der starken Farbigkeit der Industrieprodukte ausgeliefert seien.
Tony Cragg versucht nun, dem entgegenzusteuern, indem er Skulpturen, Reliefs und Raumbilder aus diesen industriell vorgefertigten (alltäglichen) Kleinteilen baut. Daß es sich dabei fast durchweg um Fundsachen, also Abfallprodukte, handelt, ist zwar die Regel, aber nicht Bedingung. Immerhin spricht der Wegwerfcharakter der Kleinteile für das gestörte Verhältnis, das unsere Zeit zu ihnen hat.
Craggs Arbeit vollzieht sich auf zwei verschiedenen Ebenen: Einmal formt er auf einer Wand aus vielen, ganz unterschiedlichen Fundstücken (mit einer ge-. meinsamen Farbe) ein großes Relief, das ein Sinnbild unrer Zeit darstellt – Spülmittelflasche, Polizist; die Teile sind in diesem Fall ausgebreitet und lassen eine reizvolle Wechselbeziehung zwischen den vielen Einzelformen und der einen großen Form entstehen. Ein anderes Mal schichtet Cragg die verschiedensten Dinge zu einem kompakten Volumen; in dem die Einzelteile nur zum Rand hin erkennbar werden.
Vor allem die Spannung, die entsteht, wenn aus vorgefundenen, unveränderbaren Formen ganz andere und größere aufgebaut werden, ist es, die Tony Cragg immer wieder herausfordert. Er sieht darin den Nachvollzug des universellen Bauprinzips, in dem ebenfalls diese Wechselbeziehung gegeben ist.
Zur documenta 7 will Tony Cragg drei plastische Formen aufbauen, bei denen das Volumen, also die Körperlichkeit, entscheidender ist als das bildhafte Element. Die Bausteine, sprich: Fundstücke, für diese Formen sucht sich der Künstler in diesen Wochen in Kassel und Umgebung zusammen.
HNA 13. 5. 1982