Vorliebe für das Unscheinbare

Die Arbeiten des in New York lebenden Amerikaners Carl Andre (Jahrgang 1935) sind von einer oftmals irritierenden Stille, Zurückgezogenheit und Unauffälligkeit. Schwarzgraue, gleich große Stahlplatten etwa sind auf einer Bodenfläche zu einem Rechteck zusammengelegt, oder ebenfalls gleichförmig geschnittene Holzquader bilden eine Reihung.

Bei Andre gibt es auch nicht den Ansatz einer figürlich-bildlichen Anordnung. Selbst das voluminöse Objekt bleibt abstrakt, ist allein ausgerichtet auf Serie, Zuordnung und Abfolge. Und der Künstler bekennt, daß er gerade die Arbeiten liebt, die sich nicht aufdrängen, die unscheinbar bleiben.

Wir sind es gewohnt, einen Raum, ein Zimmer oder einen Saal als ein Gehäuse zu begreifen, das man einrichtet oder in dem etwas passiert. Der Raum wäre mithin nicht mehr als der Rahmen eines Bildes. Carl Andre jedoch sieht in dem Raum einen Körper, ein Volumen, der einen Wert an sich hat und den es zu entdecken oder zu erobern gilt. Auch der leerste Raum hat für ihn Ausstrahlung, Atmosphäre und – hier kommt Andres musikalische Neigung zum Ausdruck – Klangvolumen.
Andres Arbeiten sind mithin atmosphärisch abgestimmte Antworten auf die Umgebung, in der er etwas gestalten soll.

Da ist beispielsweise sein im Museum Fridericianum realisierter Beitrag zur documenta 7 (,‚Cedar solit“): Sechs mal sechzehn Quadern aus Zedernholz sind zu einem geschlossenen Körper im hintersten Winkel des Saales zusammengefügt. Als Carl Andre zum Aufbau seiner Arbeiten nach Kassel kam, wußte er, daß er einen Beitrag aus diesen rechteckigen Holzblöcken gestalten würde. Doch erst in dem Augenblick, in dem er die dunkle und gedrungene Atmosphäre dieses rückwärtigen Saalteiles erlebte, entschied er sich, in diesem Fall die Formation kompress zu halten.

Das Material und der Raum, das sind für Andre die Ausgangspunkte und auch die Grenzen seiner Arbeit. Die Ideen für bestimmte Formen werden anhand dieser beiden Faktoren entwickelt – im Gegensatz zu jenen Künstlern, die sich für ihre Ideen die entsprechenden Materialien und Räume suchen. Carl Andre hat keineswegs nur mit Stahlplatten und Holzblöcken gearbeitet, doch diese beiden Elemente wurden zu seinen wichtigsten Gestaltungsmitteln, weil er mit
und ihnen ( und ihren immer wiederkehrenden Abmessungen) am eindringlichsten sein Interesse am Material, am Maßstab und an den Proportionen vorführen kann.
Die innerhalb einer Arbeit stets gleich großen Segmente sind nicht mit den Teilen eines Puzzles zu verwechseln, die immer nur auf eine Weise zusammenpassen. Mal staffelt Andre etwa die Holzblöcke linear im Raum oder nach mathematischen Reihungen, dann wieder stapelt er sie zu geschlossenen, in die Höhe, Breite oder Länge wachsenden Formen.

Ebenso direkt wie zum Innenraum ist Andres Beziehung zur Landschaft. 1968, als er zum ersten Mal an einer documenta teilnahm, wollte er in der Karlsaue eine einen Kilometer lange Linie aus Zementplatten ziehen. Es wäre die Auseinandersetzung mit einem vertrauten Maß (um das es 1977 auch bei de Marias Erdkilometer ging) in der weiten Parkanlage geworden; die Landschaft wäre gezeichnet worden. Doch es kam nicht zu dem Projekt. In diesem Jahr aber dringt Andre mit einer Arbeit nach draußen: Dreihundert einen Quadratmeter große Stahiplatten wurden zum einerseits unauffälligen, doch auch verwirrenden Belag auf einer der Hauptachsen in der Karlsaue.

HNA 8. 5. 1982

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