Spiel mit der Museumsidee

Wenn ein Kunstwerk in ein Museum aufgenommen wird, empfinden wir das als einen Akt kunsthistorischer Wertschätzung. Das Werk, so unterstellen wir, wird geadelt, es wird im Sinne der Kunstgeschichte anerkannt und zumindest vorübergehend der Vergänglichkeit entzogen. Der 1961 im Benin geborene und jetzt in Amsterdam lebende Künstler Meschac Gaba unterläuft dieses Denkmuster, indem er durch und für seine Arbeiten ein Museum schafft, das ebenso real wie fiktiv ist. 1997 hat er mit dem Aufbau seines „Museums of Contemporary African Art“ begonnen. Abgeschlossen ist das Projekt seit längerer Zeit. Doch erst jetzt werden alle zwölf Abteilungen erstmals als geschlossenes System in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel gezeigt.
Sein Museum hat Gaba durch eine neue Arbeit ergänzt, die hervorragend zu den anderen zwölf Abteilungen passt: Unter dem Titel „Lac de Sagesse“ (Lake of Wisdom – See der Weisheit) präsentiert Meschac Gaba in der Rotunde des Fridericianums zwölf Vitrinen, in denen er in Form vergoldeter Keramik die Gehirne der großen Meister der Menschheit aufgereiht hat – Jesus Christus und Mahatma Ghandi, Karl Marx und Erasmus, Ovid und Martin Luther King… In die Ehrengalerie hat Gaba auch zwei zeitgenössische Figuren der Kunst aufgenommen – Harald Szeemann und Marcel Broodthaers. Mit der Aufnahme von Broodthaers hat Gaba zu erkennen gegeben, wem er sich verwandt fühlt. Denn es war Broodthaers, der mit seinem Adler-Museum in den 60er- und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Modell für ein Museum entwickelte, das zugleich greifbar und real und trotzdem fiktiv und visionär ist. Gaba entwickelte das Modell weiter, indem er noch stärker Leben und Kunst miteinander verflocht.

Christus’ Gehirn Museumsshop Hochtzeitszimmer von Meschac Gaba und seiner Frau Votivfigur einer Schwangeren
Das „Museum of Contemporary African Art“ als eine ureigene afrikanische Schöpfung ist eigentlich ein Wunschgebilde, da die Schatten des Kolonialismus immer noch nicht vergangen sind. Man sieht in New York und Belgrad mehr afrikanische Kunst als in irgend einem afrikanischen Land. Doch gleichzeitig ist Gabas Museum ein Gegenmodell zum europäischen Museum, das verklärt und veredelt und normalerweise die materiellen Grundlagen, Risiken und Nöte vergessen macht. Gemeinhin ist ein Museumsrundgang so angelegt, dass die Besucher am Ende automatisch im Museumsshop landen, wo sie Auflagenobjekte und Souvenirs erwerben und damit die Einrichtung stützen helfen sollen. Gaba dreht in seiner Kasseler Ausstellung den Spieß um: Die Besucher müssen in den Shop gehen, die bedruckten T-Shirts, gebastelten Halsketten und Anstecker anschauen, um dann erst in die Museumsabteilungen zu gelangen. Drastischer könnte nicht demonstriert werden, wie sehr die Kunst und ihre Abfallprodukte zur Ware geworden sind. Ohne den Verkauf läuft nichts. Die Kunst ist zu einer Ware geworden, deren Absatz nach den reinsten kapitalistischen Gesetzen funktioniert. Im Museumsshop kann man Objekte zum Preis zwischen zwei und 15000 Euro erwerben. Dabei bemisst sich der Preis weder an der Größe noch Originalität der Objekte, sondern an der Nachfrage. Objekte, die in großer Auflage vorhanden sind, kosten wenig, Einzelstücke hingegen sind teuer. Diese alte Regel von Angebot und Nachfrage schützt zugleich den Künstler davor, dass im Handumdrehen der Shop ausverkauft ist.
Geld, Geld und nochmals Geld. Ein Museum des Geldes ist entstanden, ein Museum der Vermarktung und der Käuflichkeit. Unter diesen Umständen ist verständlich, dass Meschac Gaba seinen ursprünglichen Plan verworfen hat, für seinen „See der Weisheit“ echte Gehirne nachzubilden und sie in einer Flüssigkeit schwimmen zu lassen. Nun sind sie zu massiven Formen aus Keramik geworden, deren Vergoldung sie zu Wertobjekten und sie zu Teilen des Marktes macht..
Über den Vitrinen mit den Gehirnen der großen Geister hängen an der Wand 16 Geldscheine in Postergröße. Die Motive der Scheine stammen aus den Ländern, in denen die Kuratoren wirken, mit denen Gaba zusammengearbeitet hat. Um diesen Bezug zu verdeutlichen, hat Gaba jeweils in den Schein des entsprechenden Landes das Porträt des Kurators hineinkopiert. Diese Serie kann man vielfach deuten und ist von Gaba auch komplex gemeint. Denn darin steckt natürlich der ehrerbietige Dank des Künstlers an die Ausstellungsmacher, die ihn gefördert haben. Doch gleichzeitig ist diese Verewigung auf den Banknoten eine ironische Heiligsprechung, denn die Kuratoren werden auch als diejenigen vorgeführt, die im Kunstbetrieb den Geldkreislauf mit aufrecht halten und zur Finanzierung der Künstler beitragen. Also stellt sich in den Zeiten der Finanzkrise die Frage, ob denn die Kuratoren-Banknoten als Symbole des inflationären Verfalls verstanden werden können oder müssen.
Wie ein Ornament (man kann auch sagen: Ausschlag) überzieht die Spur des Geldes in Gabas Museum die Dinge und Räume. Zu Konfetti verarbeitete (entwertete) Geldscheine setzen sich nun wie Kainsmale der Käuflichkeit auf Tellern und Tassen und sogar auf einem Flügel fest. Und wenn Gaba überall Halsketten, die aus Geldscheinresten geformt sind, auftauchen lässt, dann erinnert er daran, dass ein Großteil der afrikanischen Lebenswirklichkeit aus Recyclinng-Produkten besteht.
Doch Meschac Gaba sieht in den Banknoten nicht nur die Zahlungsmittel. Sie sind für ihn auch Zeugnisse kultureller Identitäten. Denn die Porträts, Gebäude und anderen Symbole, die auf den Geldscheinen zu sehen sind, werden als die Werte verstanden, an denen sich die jeweilige Nation oder ein Regime orientieren will. Um die Identität der afrikanischen Völker sieht es allerdings schlecht aus. Wie soll sich auch eine politisch unterlegene Kultur behaupten, wenn aus den europäischen Ländern billige Second-Hand-Kleider auf den Markt geworfen werden und Mode und Markt ihre Basis verlieren?
Schach: Dollar gegen Euro Kuratoren auf Banknoten (Jan Hoet) Flügel mit Geldpunkten In der Bibliothek
Gabas Museum erreicht nicht ganz die Durchschlagskraft von Christoph Büchels Raumfolge, die vor einem Jahr unter dem Titel „Deutsche Grammatik“ an der selben Stelle zu sehen war, doch die Schau entpuppt sich als ein faszinierendes Spiel mit der Museumsidee und mit der Kunst, die vor allem als Kunsthandwerk und Kitsch daherkommt. Unübersehbar wird das in dem in Kreuzform gestalteten Raum „Art and Religion“, in dem sich die Religionen in Form von Andachtskitsch begegnen.
Meschac Gaba führt die Museen vor, die sich alles einverleiben. Wenn schon die halbe Welt musealisiert wird, dann ist es auch möglich, das eigene Leben für museumsreif zu erklären. Und so hat er alles das, was zu seiner Hochzeit gehörte und von ihr geblieben ist, in einem „Marriage Room“ versammelt. Gaba hat aber auch das Museum als kulturelles Gedächtnis im Sinn. Seine Bibliothek, die zusammen mit dem Museumsshop und der Abteilung „Humanist Space“ schon zur Documenta 11 in Kassel zu sehen war, bringt die Erkenntnisse und Botschaften der Kulturen zusammen. Selbst aus einem Sarg, der in der Bibliothek steht, sind noch Lebenserinnerungen zu hören.
Parallel zu Gabas Museum stellt Rein Wolfs in der Kunsthalle Fridericianum die französisch-marokkanischen Künstlerin Latifa Echakhch vor. Sie präsentiert eine mehrteilige Arbeit, die zu einem großen Raumbild verwoben ist. Unwillkürlich denkt man an ein Mahnmal, wenn man in dem ersten Raum durch das Feld der eng gestellten Keile aus Beton und Schaumstoff geht. Man fühlt sich an Panzersperren und den Westwall erinnert. Die Assoziation ist nicht falsch, denn die unendlich vielen Zahlenkolonnen, die mit Kohle auf die Wand geschrieben und ausgefüllt worden, stehen für die zahllosen UN-Resolutionen, die seit 1948 zum Palästinakonflikt verabschiedet wurden. Schreitet man durch den Raum, dann bewegt man sich unter einem Klangteppich, der auf der Basis der Zwölftontechnik aus den Zahlenfolgen von der Künstlerin und Qin Huang entwickelt wurde. Gleichwohl verfliegt sehr schnell der bedrohliche Eindruck, weil zwischen den Keilen alte Kasseler Parkbänke stehen, die zum Verweilen einladen. Steckt darin ein bitterer Kommentar, dass wir, die Besucher, in Bezug auf den Palästinakonflikt eben nur interessierte Zuschauer sind und nicht Betroffene, obwohl der Urgrund des Konflikts bei uns liegt? Der Gedanke ist nicht abwegig..
Im Nebenraum, der in nachtblaues Licht gehüllt, setzen sich die Zahlenreihen an den Wänden fort. Auch hier stehen Bänke, auf denen man ausruhen und gewissermaßen die Zeit anhalten kann. Ein riesiger Sekundenzeiger zwischen den Zahlen an der Wand wird dabei zum Symbol für das Maß der Zeit, die einerseits vergeht und andererseits, wenn man auf das Verhältnis Israel-Palästina blickt, nichts bewegt. Eine höchst komplexe und packende Installation, in der allerdings das kleine eingefügte Bild, das an die Affäre Dreyfus erinnern soll, wie ein Irrläufer erscheint.

Kunstforum 199

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