Es geht ums Prinzip

Säßen wir im Theater, könnten wir uns belustigt zurücklehnen und dem zur absurden Groteske geratenen Schauspiel zusehen. Es wäre eine Dreiecksgeschichte, in der es eigentlich um große Dinge geht, in der aber die Sache selbst durch persönlichen Rivalitäten und einen vordergründigen Machtkampf verschattet wird.

Aber wir sitzen nicht im Theater. Das, was wir erleben ist ernste Realität und daher gefährlich. Der zwischen Kulturdezernentin Irmgard Schleier und documenta-Geschäftsführer Roman Soukup ausgebrochene Konflikt rührt an die Substanz. Die nächste documenta steht ebenso auf dem Spiel wie jene Elemente der städtischen Kulturpolitik, die mühsam gesichert wurden. Wenn die Stadt und das Land als gemeinsame Träger nicht wollen, daß Catherine David auch nur einen Moment ernsthaft darüber nachdenken soll, ob sie den ihr erteilten Auftrag zurückgibt, dann muß sie vom documentaAufsichtsrat sofort ein eindeutiges Signal, ein Vertrauens- und Ermunterungsvotum erhalten. Schließlich gibt es bislang nicht den geringsten Grund für irgendwelche Zweifel an ihrer Qualifikation. Und der bloße Unmut darüber, daß man von der nächsten documenta nichts weiß, spricht nur gegen die Ungeduld der Zweifelnden.

In einem Punkt hat die Kulturdezernentin recht: Der Oberbürgermeister als documenta-Aufsichtsratsvorsitzender darf sich in dieser Sache nicht als Zuschauer fühlen. Durch seinen Anspruch, den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen, ist er gefordert. Da ihn die documenta selbst aber nicht berührt, hat er ein Vakuum entstehen lassen, in dem der Kompetenzstreit Schleier-Soukup gedeihen konnte. Allerdings ist höchst fraglich, ob Georg Lewandowski im Sinne von Irmgard Schleier ein Machtwort sprechen kann.

Auch wenn es merkwürdig und ungewöhnlich ist, daß Catherine David nur gemeinsam mit Roman Soukup bei der Kulturdezernentin auftreten will, hat sie die schlechteren Karten: Genießt Catherine David weiterhin das uneingeschränkte Vertrauen, dann müssen alle Betroffenen akzeptieren, daß seinerseits Roman Soulcup das uneingeschränkte Vertrauen der documenta-Leiterin genießt. Ohne ihn und an ihm vorbei kann keine documenta-Planung laufen. Er hat es eben geschafft, sich zu einem unentbehrlichen Helfer und lokalen Platzhalter von Catherine David zu machen.

In ihrer gestrigen Pressekonferenz hat Irmgard Schleier in der entscheidenden Frage, nämlich wie der Konflikt aufzuheben sei, nichts bewegt. Sie hat, da sie ja keine unmittelbare Kompetenz für die documenta hat, nur bestätigt, daß es ihr ums Mitsprache-Prinzip geht. Das Beharren auf dem Prinzip aber bringt weder sie noch die documenta weiter. Das Blatt hat sich nun mal gewendet: Bei der Berufung des von ihr ausgeguckten Roman Soukup durfte die Kulturdezernentin noch damit rechnen, daß sie damit auch direkten Zugang zur documenta haben werde. Soukup entwickelte aber sehr schnell eine eigene, umtriebige Politik und genauso viel Machtbewußtsein wie seine Kontrahentin.

Die documenta hat schon viele Konflikte erlebt und durchgestanden. Die meisten Auseinandersetzungen waren inhaltlicher Natur. Dagegen ist der derzeitige Streit wirklich eine Groteske. Da der aber an die inneren Strukturen rührt, führt er dazu, daß Kassels Kompetenz, eine documenta auszurichten, in Zweifel gezogen werden kann. Der documenta-Aufsichtsrat darf also nicht bis zu seiner nächsten Routine-Sitzung im Mai die Dinge laufen lassen. Er muß jetzt handeln. Sofort!

HNA 4. 3. 1995

Schreibe einen Kommentar