Neue Galerie auf neuen Wegen (3)

Was wird aus den Beiträgen von Joseph Kosuth und Zoe Leonhard?

Wenn sich die Neue Galerie zu einem Museum der Moderne hin entwickeln soll, ist es nur logisch, die Kunst des 18. und möglichst auch Teile des 19. Jahrhunderts künftig nicht mehr in dem Haus an der Schönen Aussicht zu zeigen. Immerhin steht derzeit zumindest fest, dass das 18. Jahrhundert und damit vor allem die Gemälde der Tischbein-Familie nicht mehr in die Neue Galerie zurückkehren sollen.

Diese Entscheidung, so richtig sie ist, hat aber negative Folgen für zumindest zwei documenta-Kunstwerke. Diese beiden aus der documenta IX hervorgegangenen Arbeiten sind in ihrem Bestand gefährdet, da sie unmittelbar an die Malerei des 18. Jahrhunderts gebunden sind. Zur Erinnerung: Jan Hoet hatte 1992 eine Reihe von Künstlern eingeladen, sich mit den Beständen der Neuen Galerie auseinanderzusetzen und die dort gezeigten Werke zu kommentieren.

Zum einen geht es um Zoe Leonhards Vagina-Fotos, die die Künstlerin 1992 zwischen die koketten und mehr oder weniger versteckt erotischen Frauen- und Mädchenporträts gehängt hatte. Zur documenta IX hatte Leonhard fünf Räume belegt. Beim Ankauf entschied man sich für die Fotos für zwei Räume. Dabei war vereinbart worden, dass die herausfordernde und provokative Hängung nicht auf Dauer vollzogen werden solle, sondern nur gelegentlich umgesetzt werden solle.

Die Künstlerin wollte die historischen Gemälde, die mit den weiblichen Reizen spielen, die aber den realistischen Akt verschämt verweigern, mit der anatomischen Realität, mit dem Tabu-Motiv der Sexualität, konfrontieren. Das bedeutet, dass Zoe Leonhards Fotos nur funktionieren, wenn sie im Umfeld der Malerei des 18. Jahrhunderts gezeigt werden. So heißt es denn auch im 2002 erschienenen Katalog zu den „documenta-Erwerbungen“ fast hellseherisch: „Zoe Leonhards Arbeit ist aus dem Kontext der Sammlung der Malerei des 18. Jahrunderts entwickelt und hat deshalb auch nur dort Bestand.“

Das Gleiche gilt für Joseph Kosuths Werk „Neue Galerie Flanerie“. Kosuth hatte zur documenta IX die beiden Gänge auf der Aue-Seite für seinen Beitrag genutzt. Unten hatte er die Wände schwarz streichen lassen und die Gemälde und Skulpturen mit schwarzen Stoffen verhüllt. Auf die Wände und Stoffe hatte er in weißer Schrift philosphische, poetische, poltische und kulturkritische Zitate drucken lassen. Für den oberen Gang entwickelte er eine parallele Arbeit – mit dem Unterschied, dass die Wände und Stoffe weiß waren und die Texte in schwarzer Schrift gedruckt waren. Die Stoffüberzüge waren jeweils den Formaten der Bilder und Objekte angepasst. Entsprechend zur Objektgröße variierte die Schriftgröße.

Kosuth 1 Kosuth 2 Zoe Leonhard

Da nicht einer der Gänge komplett übernommen werden konnte, entschied sich Kosuth nach der documenta, für die Neue Galerie einen speziellen Raum nach dem Vorbild der beiden Gänge zu gestalten. Er wählte einen der Räume mit der Malerei des 18. Jahrhunderts und nahm als Grundfarbe die Mischung aus Weiß und Schwarz – grau.

Die Überzüge und auch die Texte sind auf den Raum des 18. Jahunderts zugeschnitten und deshalb nur in dem Zusammenhang realisierbar. Wie schon bei Zoe Leonhards Arbeit galt bei Kosuth die Regel, dass die Verhüllung der Bilder des 18. Jahrhunderts nur gelegentlich präsentiert werden sollen.

Nun kann es und darf es nicht sein, dass, nur weil sich die konzeptionellen Bedingungen in der Neuen Galerie verändern, die ja nicht ganz billigen documenta-Werke verloren gegeben werden – zumal diese beiden Arbeiten exemplarisch für die Intervention der Künstler in eine Sammlung stehen.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Werke zu retten?

1) Es hat sicherlich keinen Sinn, daran zu denken, die beiden documenta-Projekte mit den Bildern des 18. Jahrhunderts nach Wilhelmshöhe umziehen zu lassen, da dort die Raumbedingungen und dementsprechend die Hängung völlig anders sein werden. Außerdem gehören die Arbeiten als documenta-Beitäge in die Neue Galerie. Umgekehrt muss man den Gedanken ausschließen, drei Räume in der Neuen Galerie nur wegen der gelegentlich gezeigten documenta-Interventionen für das 18. Jahrhundert vorzuhalten.

2) Im Dialog mit den beiden Künstlern muss geklärt werden, wie die Arbeiten oder die Erinnerung an sie gerettet werden können.
a) Zoe Leonhard und Joseph Kosuth zu bitten, ihre Arbeiten für Kasse neu zu konzipieren, verbietet sich wohl, weil der Zusammenhang mit der documenta IX völlig verloren ginge und weil ein solcher Versuch sicher zu kostspielig wäre.
b) Aber gemeinsam mit den Künstlern könnte überlegt werden, wie die Arbeiten außer Funktion – etwa in Kombination mit Fotos von den Ursprugszuständen – präsentiert werden – in Vitrinen vielleicht oder anderen Installationsformen.

Vom Auszug der Kunst des 18. Jahrhunderts ist in gewisser Weise auch der Beitrag von Ulrike Grossarth betroffen. Da an ihrem Raum der Galeriegang vorbeiführte, in dem das 18. Jahrhundert zu sehen war, bezog die Künstlerin in ihre Projektion das verdreifachte Bild der Muse Kalliope von Johann Heinrich Tischbein ein.

Auch hier geht natürlich der direkte Zusammenhang verloren. Doch die Projektion in dem Grossarth-Raum ähnelte sowieso einer schwachen Erinnerung, ist also nicht substantiell und wäre vielleicht auch durch ein anderes Motiv ersetzbar.

23. 11. 2009

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