Konflikte, Gerüchte, Spekulationen

Von der heutigen Aufsichsratssitzung zur documenta 10 (1997) werden deutliche Antworten erwartet: Kommt die Ausstellungsplanung voran und funktioniert noch das Team David-Soukup?
Da, wo die klaren Botschaften fehlen, schießen die Gerüchte und Spekulationen ins Kraut. Und seit die documenta-Vorplanungen weitab
von Kassel erfolgen, ist jedes Mal die Angst der Kunstfreunde solange groß, die Ausstellung könne in ein tiefes Loch fallen, solange sie keine Fakten über Teams, Räume und inhaltliche Rahmenbedingurigen in der Hand haben. Doppelt groß scheint dieses Mal die Ungewißheit, wie es denn um die in zwei Jahren anstehende Kunstschau steht, weil mit Catherine David eine künstlerische Leiterin bestellt wurde, die nicht nur eine fremde Sprache spricht, sondern im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Jan Hoet die lauten und öffentlichkeitswirksamen Auftritte auch meidet. Hoet hat im Vorfeld viel erzählt – aber eher, um zu verwirren als um zu informieren.

Erschwert wird die Situation dadurch, daß Catherine David mit Roman Soakup ein Geschäftsführer zur Seite steht, der wohl ein Profi im Kunstbetrieb ist, der aber immer wieder auf Mißtrauen stößt und sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er würde die documenta-Leiterin in seinem Sinne instrumentalisieren.

Beide, Catherine David und Roman Soukup, sind in den ersten Monaten wie ein unzertrennliches Paar aufgetreten. Auch im März, als es zum Kompetenzstreit mit Kassels Kulturdezernentin Irmgard Schleier kam, schien der Pakt zwischen den beiden unaufhebbar. Nun aber sind wohl die Kontakte empfindlich gestört. Dabei geht es dem Vernehmen nach auch um Sponsorenverträge in Millionenhöhe, deren Bedingungen die künstlerische Leiterin angeblich nicht oder so nicht übernehmen will. Erneut ist also Gefahr im Verzuge.

Dieses Mal aber weit fundamentaler als im März. Jetzt geht es um die Sache selbst, um die Sicherung der für 1997 geplanten Ausstellung in materieller wie inhaltlicher Hinsicht. Dementsprechend gibt es hinter den Kulissen Bemühungen, die Mißstimmungen auszuräumen und den offenen Konflikt zu vermeiden, der zu personellen Konsequenzen führen und den Fahrplan in Frage stellen könnte. Nur: Es reicht jetzt nicht, die Dinge oberflächlich zu kitten. Der documenta-Aufsichtsrat, der heute routinegemäß in Kassel tagt, wird sich nicht mit Willensbekundungen zufriedengeben können, sondern muß dafür sorgen, daß – wie auch immer – eine produktive Arbeitsatmosphäre hergestellt wird.

Schon mehrfach war die documenta im Vorfeld von Konflikten gezeichnet. Manfred Schneckenburger wurde nur deshalb zweimal künstlerischer
Leiter, weil die zuvor beauftragten Teams im Streit auseinandergegangen waren. Doch stets wurden in früheren Jahren die Konflikte dadurch abgemildert, daß sich im Aufsichtsrat Motoren der documenta-Idee befanden. Immer mehr wird spürbar, daß es jetzt im Aufsichtsrat in dieser Beziehung ein Vakuum gibt.

Der documenta-Aufsichtsrat muß also ein deutliches Signal setzen, um den Spekulationen, die documenta sei gefährdet, ein Ende zu bereiten. Schließlich gibt es auch positive Hinweise – etwa auf eine intensive Reisetätigkeit von Catherine David im Dienste der documenta. Auch wenn die künstlerische Leiterin erst Ende September ihre erste inhaltliche Pressekonferenz in Kassel geben will (um danach die documenta im Ausland zu propagieren), wäre es wichtig, daß heute mehr verkündet wird, als daß Catharine David die Chefin ist und es zufriedenstellend weitergeht.

HNA 29. 6. 1995

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