Begrüßungsspektakel voller Erfolg

Mit einer Riesenparty endete das dreitägige Begrüßungsspektakel für Catherine David im Museum Fridericianum. Die documenta-Geschäftsführung wertet den Auftakt als großen Erfolg.

Hamid Baroudi ist ein Phänomen. Locker, fast beiläufig, tanzt er mit seiner E-Gitarre über die Bühne, singt plaudernd und ein wenig albernd, läßt seine Stimme zum Instrument werden, um dann in den stampfenden Rhythmus seiner Band einzustimmen. Dieser Rhythmus geht in die Beine. Vor der Bühne beginnen die ersten zu tanzen. Und schließlich tanzt, vom Publikum fast unbemerkt, auch neben der Bühne ein Paar: Catherine David, die künstlerische Leiterin der documenta 10 (1997), und documenta-Geschäftsführer Roman Soukup. Die Frage, ob Baroudis Musik der Französin gefalle, erübrigt sich. Wohl mag sie eher Klassik, aber dies schätzt sie auch.

Drei Abende lang stand Catherme David im Blickpunkt der Kasseler Öffentlichkeit. Am ersten Abend hatte sie einen Vortrag gehalten, am zweiten präsentierte sie einen Film von Chantal Akerman und am dritten schließlich gab es unter dem Motto „Welcome für Catherine David!“ eine Begrüßungsparty im Museum Fridericianum. Mehr als 1500 Gäste hatten dafür gezahlt, um in das musikalische „Welcome“ einstimmen zu können. Aber die wenigsten von ihnen bekamen Catherine David wirklich zu Gesicht: Sie hatte vor Beginn des Baroudi-Konzertes in einem der fünf Säle ein knappes Begrüßungswort gesprochen und war dann neben der Bühne abgetaucht. Den größeren Teil des Abends saß sie abgeschirmt in der Rotunde, wo sich als „sehr wichtig“ eingestufte Personen trafen, man aber nur wenige Leute aus der Kunstszene fand.

Das erste Obergeschoß des Museums Fridericianum, in das bald die Alten Meister aus Wilhelmshöhe einziehen sollen, war für die bi zum frühen Sonntagmorgen (4.45 Uhr) dauemde Musiknacht in eine einzige Festetage verwandelt worden. Das Zentrum war der große Bühnensaal, in dem nach dem Baroudi-Konzert die Musik-Laser-Show mit internationalen Diskjockeys ablief. Besonderen Beifall fand der Raum, den das Team der Kulturfabrik Salzmann in ein Aquarium verwandelt hatten: Riesige phantasievolle Fische hingen dort von der Decke.

Nach Einschätzung von documenta-Prokurist Frank Petri war die Party, bei der zuweilen drangvolle Enge herrschte, ein voller Erfolg. Durch den Verkauf der Karten und Getränke seien die Kosten voll gedeckt. Für documenta-Geschäftsführer Roman Soukup ist wichtig, daß die Party viele Menschen erstmals in Fridericianum gelockt habe.

Tatsächlich war am Abend zuvor – mit immerhin über 400 Besuchern – ein völlig anderes Publikum dort gewesen: Catherine David hatte den Film „D‘Est“ der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman vorgestellt, den sie für einen der besten Filme der jüngsten Zeit hält. Es ist ein wohl schwieriger Film, der geduldiges Hinsehen verlangt, aber ein Werk mit unheimlich schönen, bedrückenden und ausdrucksstarken Bildern von Landschaften, Städten und Menschen. Der unkommentierte Film erzählt in nebeneinandergestellten Sequenzen von einer Reise von Deutschland nach Rußland. Aber nicht die Reise erlebt man, sondern Erinnerungen an sie – Erinnerungen an einen einsamen Baum, an dem gelegentlich ein Auto vorbeirast, an ein Paar, das in einem Verschlag an der Ostsee Karten spielt, an dunkle Gestalten, die mit ihren Taschen über den knirschen Schnee laufen, und an Menschen, die in der Dämmerung warten.

Der mit dokumentarischen Mitteln gedrehte Film ist kein Dokumentarfilm. Subjektiv spiegelt er die Wahrnehmung der Wirklichkeit über ruhige, intensive Bilder, von denen jedes das Bild sein könnte. Diese Begegnung mit der Wirklichkeit hat etwas Unausweichliches. Vor allem fasziniert das stets natürliche Licht.

Kommentar

Die zwei Seelen

Was ist, was wird die documenta? Am liebsten möchte man die Kunstschau klein und rein halten. Aber wenn die Kunstfreunde unter sich bleiben und das Medienaufsehen fehlt, stimmt die Kasse nicht. Immerhin soll die documenta 10 wiederum mehr als die Hälfte des 20-Millionen-Etats selbst erwirtschaften. Setzt man aber auf die große Show wie Jan Hoet und strömen die Massen, dann kommen auch die Marktschreier und die Kunst gerät leicht in Verruf. Was also tun?
Der Kampf zwischen den zwei Seelen tobt auch im neuen documenta-Team. Catherine David, dafür sprechen ebenso alle Anzeichen wie ihre bisherigen Aussagen, will weg vom Jahrmarkt. Kunst dürfe nicht zum Unterhaltungsmittel werden, meint sie. Der von ihr vorgestellte Akerman-Film wird so zu ihrem Bekenntnis: Vertrauen auf die stille Kraft der Bilder und auf die Möglichkeit, die Wirklichkeit in komplexen Zusammenhängen zu spiegeln. Nichts für Leute, die im Vorübergehen Kunst konsumieren wollen und die fertige Antworten suchen. So hatte der Film-Abend programmatischen Charakter.

Programmatisch war aber auch die Party einen Abend später: Massen waren im Trubel unter dem Stichwort documenta vereint. Mag sein, daß auch eine stillere documenta einer solchen Initialzündung bedarf. Aber angesichts der Tatsache, daß ebenso schnell wie Catherine David der Gedanke an die documenta aus dem Saal verschwand, fragt sich, welche Kraft sich am Ende durchsetzt.

Die Geschäftsführung muß zaubern, um den Erfolg zu sichern. Doch noch mehr muß Catherine David aufpassen, daß ihr Ansatz nicht unter die Räder kommt und sie nur einen üppigen Rahmen ausfüllen darf

HNA. 19. 9. 1994

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