Gefährliche Hilfe

Die Botschaft klingt vielversprechend. Die documenta stehe nicht zur Disposition und sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Über die Parteien hinweg wird dies trotz des Sparzwanges bekräftigt. Und doch mag man zweifeln, ob die politisch Verantwortlichen dieser Stadt wirklich erkannt haben, was die documenta für die Kunst an sich und für Kassel insbesondere bedeutet. Der Hinweis, daß die 2,4 Millionen Mark städtischer Zuschuß eine gewinnbringende Investition seien, kann doch nur ein Hilfsargument bilden. Wer nicht sieht, daß – bei aller Kritik jeweils an der vorangegangenen Ausstellung – die Kunstwelt auf die nächste documenta wartet, und wer nicht erkennt, daß sich Kassels internationaler Ruf in erster Linie mit der documenta verbindet, läuft Gefahr, im politischen Geschäft mit ihr leichtfertig umzugehen.

Nun gibt es aber auch Politiker, die das Wesen der documenta verinnerlicht haben. Zu ihnen zählt der frühere Oberbürgermeister und jetzige Ministerpräsident Hans Eichel. Er weiß, daß für Kassels Zukunft die Ausstellung ebenso unverzichtbar ist wie die Wilhelmshöhe oder der ICE-Bahnhof. Also wundert es nicht, daß er mit Sorge die Magistrats-Diskussion verfolgte, ob nicht vom documenta-Etat ein paar Hunderttausender abzuzweigen seien.

Ungefragt warf er in die Kasseler Debatte ein, das Land werde schon dafür sorgen, daß die documenta unter der Finanznot nicht zu leiden habe. Was im ersten Moment als taktisch unkluges Hilfsangebot (das zur Kürzung geradezu ermuntern könnte) verstanden werden konnte, entpuppte sich für seine Parteifreunde als Strategie: Indem sich das Land finanziell stärker für die documenta engagiert, kann es größere Anteile an der Gesellschaft einfordern und damit Oberbürgermeister Lewandowski als Aufsichtsratsvorsitzenden verdrängen, der eingestandenermaßen von dem Bereich nichts versteht.

Das ist ein höchst gefährliches Spiel. Weder darf die documenta zum Spielball parteipolitischer Interessen werden noch dürfen die Gewichte je nach Finanz- und Kompetenzlage verlagert werden. Wer weiß schon, wer nach Eichel kommt? Und wer wollte garantieren, daß eine südhessisch geprägte Landesregierung die Notwendigkeit einer documenta für und in Kassel genauso sieht wie der jetzige Regierungschef? Wie schnell könnte die documenta in Konkurrenz zu anderen Ausstellungen geraten!

Es ist zum Nutzen der Ausstellungsidee, wenn die documenta-Leitung international besetzt ist. Es ist auch richtig, daß Stadt, Land und Bund die Grundfinanzierung gemeinsam tragen. Die Stadt muß aber, ganz gleich, wie der Magistrat besetzt ist, in der vollen paritätischen Verantwortung für die documenta bleiben. Denn der Impuls und der unbedingte Wille zur documenta müssen von hier ausgehen. Andernfalls wäre die Idee für Kassel sowieso verloren.
HNA 19. 3. 1994

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